Angelehnt an den in der Forschung etablierten Begriff der „Industrie 4.0“, beschreibt das Thema des Kolloquiums, dass der voranschreitende digitale Wandel und seine Folgen einen sozialen Umwälzungsprozess angeregt hat und weitreichende Veränderungen bis in die gesellschaftliche Mitte mit sich trägt. Da Gender ein wichtiger Pfeiler in Diskursen rund um sozialpolitische und kulturelle Fragestellungen darstellt, sollte dies auch im Kontext der Digitalisierung der Fall sein. Die Beiträge beleuchten das Thema des Kolloquiums 2020 aus sehr unterschiedlichen fachlichen Perspektiven unter Einbeziehung verschiedener Forschungsfragen und Fallstudien. Jedoch bleibt die fächerübergreifende Einigkeit darüber, dass Gender in dem Kontext von technologischen Wandel auch immer intersektional gedacht werden muss. Die unten vorgestellten Beiträge der Bamberger Forscherinnen wurden als Videobeiträge zur Verfügung gestellt und 30. Juni 2020 fand eine Diskussionsrunde statt, wo Teilnehmende den Beitragenden Fragen stellen konnten. Die Transformation in den digitalen Raum war erfolgreich und die Resonanz war sehr groß.
Jessica Deuschel, Bettina Finzel, Ines Rieger (Cognitive Systems)
„Uncovering the Bias in Facial Expressions”
Jessica Deuschel arbeitet seit Mai 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer Institut IIS, in der Abteilung Bildsensorik und Gruppe Intelligente Systeme. Außerdem ist sie seit Kurzem Doktorandin im Bereich Kognitive Systeme an der Otto-Friedrich-Universität
Bettina Finzel ist seit Oktober 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im BMBF-geförderten Projekt TraMeExCo (Transparent Medical Expert Companion) an der Professur für Kognitive Systeme der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seit Dezember 2019 ist sie Mitglied der Bamberger Graduiertenschule für Affektive und Kognitive Wissenschaften (BaGrACS). Im Jahr 2014 hat sie das „make IT“ Informatik Mentoring der Frauenbeauftragten an der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik organisatorisch aufgebaut, war als Mentorin und Koordinatorin aktiv und ist inzwischen ehrenamtlich in die Schulung neuer Mentor*innen eingebunden.
Ines Rieger ist seit Oktober 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gruppe "Intelligente Systeme" am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Dort arbeitet sie im BMBF-geförderten Projekt TraMeExCo (Transparent Medical Expert Companion). Sie ist auf automatische Bilderkennung - besonders für Gesichter - spezialisiert und erweitert Maschinelles Lernen mit erklärbaren Komponenten. Außerdem gibt sie Workshops rund um Deep Learning in Computer Vision.
Der Vortrag der drei Forscherinnen mit dem Titel „Uncovering the Bias in Facial Expressions“ beinhaltet aktuelle Forschungsentwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz mit dem Fokus auf maschinelles „deep learning“. Sie zeigen anhand eines konkreten Beispiels aus der Bilderkennung, in dem Gesichtsausdrücke und damit verbundene potenzielle Emotionen von einer selbstständig lernenden Einheit klassifiziert wurden, dass fehlerhafte Ergebnisse im Trainingsprozess der Einheit durch Verzerrungen im Daten-Input (biases) entstehen können. Ihre Analyse zeigt unter anderem, dass solche Verzerrungen in den Ergebnissen von KI-Systemen auftreten können, die nur auf der Basis von homogenen Bilddaten trainiert wurden.
Anne Wagner (Wirtschaftspädagogik)
„Geschlechterunterschiede beim Einsatz digitaler Medien im Berufsschulunterricht – Erste Ergebnisse einer Tagebuchstudie“
Anne Wagner ist seit September 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Wirtschaftspädagogik in Bamberg (Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz). Neben der Lehre arbeitet sie in verschiedenen Projekten mit. Das Projekt tabletBS.dual, welches auch Gegenstand des Kolloquiumsbeitrags ist, hat die didaktische Weiterentwicklung und Evaluation des Tablet-Einsatz an Berufsschulen in Baden-Württemberg zum Ziel. Weiterhin ist sie im Erasmus+ Projekt „Enhancing European teacher education through university schools“ für die Projektkoordination zuständig.
In ihrem Vortrag stellt Anne Wagner erste Forschungsergebnisse aus dem Projekt tabletBS.dual, welches verschiedene Ausbildungsgänge aus dem kaufmännisch-verwaltenden sowie dem gewerblich-technischen Bereich in Baden-Württemberg einbezieht, vor. Im Zuge des Projekts wurden Tablet-basierte Unterrichtssequenzen für den Berufsschulunterricht evaluiert. Anhand der Analyse von Arbeitstagebüchern, die von Teilnehmenden an der Studie geführt wurden, können die Selbstwirksamkeit von Schülerinnen und Schülern, sowie Lernmotivation und -bedingungen erforscht werden. Der Beitrag von Anne Wagner stellte in ihrem Vortrag zudem die Perspektive der Geschlechterunterschiede heraus.
Caroline van der Velde (Klinische Psychologie und Psychotherapie)
„Abnehmen - Eine Frage des Geschlechts?! Identifikation und Integration von geschlechtsspezifischen psychologischen Faktoren in der Behandlung von Übergewicht und Adipositas“
Caroline van der Velde ist Psychologin und seit Oktober 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Bamberg tätig. Seit Beginn ihrer Zeit in Bamberg arbeitet sie im BMBF-geförderten Projekt I-GENDO mit. Das übergeordnete Ziel des Forschungsprojekts besteht darin, die Effektivität herkömmlicher Gewichtsreduktionsprogramme durch die Entwicklung einer individuell gendersensibel angepassten Smartphone-Intervention, die auf psychologische Bedingungsfaktoren von Übergewicht und Adipositas fokussiert, zu erhöhen.
In ihrem Vortrag stellt Caroline van der Velde eine psychologische Studie vor, die die technologiegestützte Behandlung von Patientinnen und Patienten mit ungesundem Übergewicht und Adipositas evaluiert. Die vorgestellte Studie basiert auf dem BMBF-geförderten Projekt I-GENDO. Das übergeordnete Ziel des Forschungsprojekts besteht darin, die Effektivität herkömmlicher Gewichtsreduktionsprogramme durch die Entwicklung einer individuell gendersensibel angepassten Smartphone-Intervention, die auf psychologische Bedingungsfaktoren von Übergewicht und Adipositas fokussiert, zu erhöhen. Ihr Beitrag zeigt, dass herkömmliche konservative Behandlungsansätze durch psychologische Wirkfaktoren wie Selbstwirksamkeit, Selbstkontrolle und Bewältigungsstrategien erweitert werden sollten, damit der erfolgreiche Abschluss einer Therapie begünstigt werden kann. Zudem stellt sie heraus, dass dieser Erfolg nachhaltig gestützt werden kann, wenn in der Programmierung der unterstützenden Apps auf gender-spezifische Präferenzen und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten eingegangen wird.
Caroline Oehlhorn (Wirtschaftsinformatik)
“Weibliche IT-Talente rekrutieren und halten“
Caroline Oehlhorn ist seit Oktober 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insb. Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen. In ihrer Forschung fokussiert sie sich auf die Unterrepräsentation von Frauen in der IT sowie weitere Themen aus dem Fachbereich Management Information Systems. Sie ist außerdem Teammitglied des Centre for Human Resource Information Systems (CHRIS) und Co-Autorin der Studienreihe zu den Recruiting Trends. Seit Oktober 2017 ist sie im Team der WIAI-Frauenbeauftragten.
Der Vortrag der Bamberger Wirtschaftsinformatikerin basiert auf einer von ihr geführten Umfrage unter IT-Fachkräften, deren Ergebnisse relevant für die Rekrutierung von insbesondere weiblichen IT-Spezialist:innen sind. Ihre Analyse basiert auf dem „Kano-Modell der Kundenzufriedenheit“ und stellt heraus, welche Kriterien für Informatikerinnen und Informatiker besonders bedeutend sind in der Bewertung der Attraktivität eines potenziellen Arbeitgebers. Caroline Oehlhorn zeigt auf, dass es geschlechterspezifische Unterschiede bei diesen Kriterien gibt und stellt Strategien und Angebote für Unternehmen vor, um auf dieser Basis ihre Chancen zu erhöhen, eine Spezialistin zu rekrutieren.
Dr. Adrianna Hlukhovych (Literatur & Medien)
"Gender 4.0 denken: Körper - Geist - Identität - Natur - Kultur"
Dr. Adrianna Hlukhovych ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin des Teilprojekts „KulturPLUS: Kulturbezogene Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ des Projekts der Qualitätsoffensive Lehrerbildung „WegE – Wegweisende Lehrerbildung“ sowie Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Nach ihrem Studium für Germanistik und Weltliteratur an der Nationalen Universität Uschhorod in der Ukraine, promovierte sie in den Fächern Neuere deutsche Literatur, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Slawistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
In ihrem Vortrag "Gender 4.0 denken: Körper - Geist - Identität - Natur - Kultur" beleuchtet sie die Repräsentation und die Konstruktion von Gender-Identitäten in den Medien aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Vor allem digitale Medien und neue Technologien ermöglichen die Erweiterung aktueller Konzepte in der Debatte rund um das Thema Gender. Dr. Adrianna Hlukhovych bot vielerlei Impulse zur Reflexion in diesem Kontext anhand verschiedener Exkurse wie beispielsweise in den Cyberfeminismus, Neuen Materialismus und kritischen Posthumanismus.
Autorin: Sarah Siemeister