(Transfer-)Veranstaltungen im WiSe 2021/22
Studientag zu Machtfragen, Missbrauchsskandal und Gender
Nicht erst durch #OutInChurch und den mannigfaltigen Erschütterungen und Verwerfungen rund um die Gutachten zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs (in) der Kirche ist die katholische Kirche in der Öffentlichkeit gravierenden Vorwürfen ausgesetzt. So ist mit Blick auf ihr Handeln und ihre gegenwärtige institutionelle Verfasstheit von nicht weniger als der Unglaubwürdigkeit der Kirche zu sprechen, die im Rahmen eines digitalen Studientags am 26. Februar religionshistorisch und systematisch-theologisch ausgeleuchtet wurde.
Hierzu trafen sich die Teilnehmer:innen des Oberseminars in Dogmatik (Prof. Dr. Jürgen Bründl), Studierende und lehrende Angehörige des Instituts für katholische Theologie in Bamberg zu einem digitalen Studientag, um mit Prof. Dr. Hans-Joachim Sander (Salzburg) und Prof. Dr. Joachim Kügler (Bamberg) ausgehend von ihren einschlägigen Publikationen Aspekte der gegenwärtigen Krise der Kirche zu diskutieren. Grundlage des Austauschs waren die vorhergehende Lektüre von »SEXUALITÄT MACHT RELIGION« (Kügler) und »Anders glauben, nicht trotzdem« (Sander) sowie die gehaltvollen Eingangsstatements der beiden Referenten.
In seinem Impulsvortrag erläuterte Joachim Kügler die Grundlagen seiner »Zeitreisen«, mit denen er das Kraftfeld, das die Größen Sexualität, Macht und Religion aufspannen, auslotet. Die Unterscheidung zwischen dem persönlichen und dem öffentlichen (d. h. religiösen, politischen, …) Körper von Menschen stellt sich hier als ebenso leistungsfähig heraus wie das Eingeständnis, dass es – mit Foucault – kein »Außerhalb« der Macht gibt. Als Herrschaft kommt Macht zwar im Gewand des Natürlichen daher, stellt sich aber, wie es das Beispiel der Hatschepsut zeigen soll, als männlich vorstrukturiert heraus.
Die Pharaonin Hatschepsut griff während der 18. Dynastie im Alten Ägypten nach der Macht und hat sich auf dem Weg zum Herrscher (m) durch kreativen Umgang mit geschlechtlicher Zuschreibung hervorgetan. Der ikonographischen Vermännlichung von Hatschepsut als König (m) über das Land auf der einen Seite steht auf der anderen die narrative Inszenierung als legitime Tochter (w – s. Abb.: in männlicher Gestalt) von Re und Hathorentgegen. Diese schillernde Ambivalenz der Geschlechterkontruktion wie auch das letztendliche Scheitern dieses Unternehmens – wenige Jahre nach ihrem Tod wird Hatschepsut auf Kritzeleien nahe des Ewigkeitstempelspiktographisch vergewaltigt – legen ein Zweifaches offen: Die Fähigkeit zur aktiven Penetration ist in dieser Denkwelt ein Herrschafts-Konstitutiv. Die Reduzierung auf den persönlichen Körper, welche die piktographische Vergewaltigung Hatschepsuts inszeniert, erhält somit die Männlichkeit von Macht und setzt emanzipatorischen Bestrebungen eine Schranke.
Die hier angedeutete Naturalisierungstendenz wurde in der anschließenden Diskussion vor dem Hintergrund weiterer biblischer Texte ventiliert. So stellte sich die Frage, wie Paulus mit seinem Evangelium, demzufolge auch Christinnen »Söhne Gottes« (vgl. Gal 3,26–28), sind, eine Erlösungswirklichkeit ins Wort holte, die von engagierten Frauen in Korinth naturalistisch als Vermännlichung aufgefasst wurde. Das christologische Desiderat, Erlösung weiblich denken zu können, war ebenso Gegenstand der Wortbeiträge wie die prekäre Erkenntnis, dass binäre Konzepte stets der Konstruktion von Vorherrschaft Vorschub leisten. Mit dem Vorschlag, sich Gott als queeren Vater – als die ganz andere – vorzustellen und damit das befreiende Potenzial einer entgrenzten Gottesrede zur Sprache zu bringen, schloss Kügler.
Der zweite Teil des Studientags thematisierte den Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche und den Umgang mit den Opfern sowie die notwendigen Strukturreformen der Kirche. Nach Hans-Joachim Sander befindet sich die katholische Kirche in einer Glaubwürdigkeitskrise. Dies konstatierte bereits im Jahr 2018 Kardinal Reinhard Marx, indem er, damals als Vorsitzender der DBK, feststellen musste: »Die Menschen glauben uns nicht mehr«. Sander hat vier Größen von Unglaubwürdigkeit identifiziert: (1) Macht, die selbstherrlich ist; (2) Gewalt, die sich verherrlichen lässt oder die verherrlicht wird; (3) Sexualität, die zur Verurteilung bzw. Unterwerfung anderer genutzt wird und (4) Wahrheit, die zur Beschuldigungstheologie anderer führt.
Will man hier eine Umkehr zur Glaubwürdigkeit einschlagen, muss man sich an diesen vier Größen orientieren und sie anders denken. Hans-Joachim Sander schlägt deshalb ein Anders-sein vor:
- Macht anders. Demokratie beispielsweise ist so eine »andere Macht«. Sie ist eine andere Macht, weil sie anders ge-macht wird, nämlich nicht um der Selbstherrlichkeit willen, sondern nach dem Prinzip der Gewaltenteilung und basierend auf den Menschenrechten.
- Gewalt anders. Gewalt ist eine Schande, für die man sich schämen muss. V.a. darf man sie nicht als Herrschaftsinstrument missbrauchen.
- Sexualität anders.Sexualität muss anders begriffen werden, indem man sich dabei ehrlich macht und keine Lügen, keine Ausflüchte und keine Vortäuschungen zulässt. Der Akzent liegt hier darauf, dass sich an dem Umgang mit Sexualität zeigt, wie man es selber mit der Wahrheit hält.
- Deshalb muss auch Wahrheit andersgedacht werden. Speziell für die katholische Kirche ist dies entscheidend: Sie muss sich von der bisherigen Vorgehensweise, andere zu be-schuldigen und sich selbst zu ent-schuldigen, frei machen.
Hans-Joachim Sander ist überzeugt, dass sich die katholische Kirche nur glaubwürdig machen kann, wenn sie eine adäquate Ortsbeschreibung für die Betroffenen des sexuellen Missbrauchs findet. Die Frage dabei muss lauten: Wo ist der Ort, der diesen Menschen zukommt? Und auf welche Seite stellt sich die Kirche? Deshalb kann ein bloßes Festhalten an den überkommenen Glaubenswahrheiten den Missbauchsereigenissen sozusagen zum Trotz nicht weiterhelfen. Statt »trotzdem zu glauben« gilt es so Sander, »anders zu glauben«. Entscheidend dafür ist die Einstellung zur Wahrheit – sie kann Befreiung ermöglichen. Das systemische Vertuschungsverhalten der offiziellen Kirche kann hier sogar die Wahrheit des Evangeliums selbst unglaubwürdig machen. Notwendig ist eine Kirche, die nicht nur die anderen mit einem Geständniszwang belegt, sondern die eigenen gravierenden Vergehen eingesteht und auch aktiv aufdeckt, die den Opfern glaubt und darin das realitätskritische Befreiungspotenzial des Glaubens zur Geltung bringt. Diese Einstellung zur Wahrheit, die v.a. die amtliche Kircheninstitution nicht klerikal als heilige Große unanfechtbar macht, (siehe dazu die Forderungen von #OutInChurch) kann für alle befreiend wirken.
Für diese Einstellungsänderungen bedarf es Kirchenreformen. Diese können durch zweierlei Bedingungen auf den Weg gebracht werden: Zum einen durch den Druck von außen – hier ist an politische und gesellschaftliche Player zu denken –, zum anderen durch Revolten von innen, wie sie beispielsweise die Initiativen #OutInChurch oder Maria 2.0 darstellen. Gelingt es, dadurch eine andere Einstellung zur Wahrheit zu finden, kann die Kirche wieder auf den Weg der Glaubwürdigkeit gelangen. Eine Notwendigkeit ist hierbei, sich eines trotzdem im Glauben zu verwehren: »Nicht trotzdem glauben, sondern allem trotzen, was unglaubwürdig ist«, so der Referent in seinem Schlussplädoyer. Das bedeutet derzeit eben auch, der eigenen Kirche dort zu trotzen, wo sie unglaubwürdig geworden ist. Hans Joachim-Sander ist überzeugt: »die Kirche ist revoltierbar«.
Mit dem Abschluss des Studientages soll die theologische Auseinandersetzung mit Macht, Missbrauch, Gender und Sexualität am Institut nicht enden. Vielfach werden diese Themen in Forschung und Lehre aufgegriffen; wir laden Sie herzlich zur Teilhabe in den unterschiedlichen Formaten ein.
Diesen Text verfassten Stefan Huber und Simon Steinberger. Er steht Journalist:innen zur freien Verfügung.