DFG-Projekt: Menschwerdung Gottes im Zeitalter der Globalisierung

Überblick

DFG-Forschungsprojekt

Workshop »Heils-Ökonomie?«

Das Projekt begleitet der eintägige Workshop Heils-Ökonomie? Theologie der Befreiung und Marx’ Kapitalismuskritik, der Teil des Seminars Christus – Heil der Welt ist. Als Gastdozenten sind Prof. Dr. Michael Heinrich (Berlin) und Prof. Dr. Michelle Becka (Würzburg) eingeladen.

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Projektvorbereitung

Das FNK-Regelprojekt »Christlicher Glaube und Kapitalismus-Kritik. Zu den Interdependenzen von Theologie und Ökonomie im Werk Enrique Dussels« diente im Rahmen der Forschungsförderung der Universität Bamberg zur Vorbereitung des DFG-Antrags. In seiner zweijährigen Laufzeit (2016–2017) wurde u.a. eine Literaturdatenbank zum Œuvre Enrique Dussels und zu Aspekten der Kapitalismuskritik von Karl Marx erstellt.

Kurzbeschreibung

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt mit einer Laufzeit von vier Jahren hat zum Ziel, die Bedeutung der christologisch zentralen Aussage der Menschwerdung in einem strukturalen Rahmen zu reformulieren und ihr erlösendes Potenzial an Fragen sozialer wie globaler Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Ausbeutung zu erproben. Forschungsgegenstand ist die spezifisch lateinamerikanische Marx-Rezeption des Theologen und Philosophen Enrique Dussel. Mit ihrer Hilfe soll die befreiungstheologische »Option für die Armen« zu einer Theologie von Menschwerdung ausgebaut werden, die ihre inhaltliche Konkretion im Kontext der weltweiten Vorherrschaft kapitalistischer Ökonomisierung gewinnt.

Beschreibung

Problemaufriss

Christologische Entwürfe artikulieren mehrheitlich historisierende und individualisierende Aspekte göttlicher Inkarnation und göttlichen Heils. Auf der Basis einer derartigen Schwerpunktsetzung beschreiben solche Entwürfe zentrale Momente christlicher Anthropologie und Soteriologie. Die Relevanz des christlichen Evangeliums für gesellschaftsprägende sozioökonomische Wirklichkeiten der Gegenwart – Ausbeutung und Unterdrückung, wie sie besonders in Ländern der sog. »Dritten Welt« ausgeprägt sind – machen sie, wenn überhaupt, nur am Rande zum Thema. Individualistisch orientierte christliche Vorstellungen von Menschwerdung und gott-menschlichem Heil können Sünde und Heil in einem subjektorientierten Rahmen theologisch qualifizieren, blenden dabei aber strukturell und systemisch lebensverneinende Zusammenhänge aus. Die Theologie der Befreiung erkennt in diesem Befund ein strukturelles Problem: Für sie besitzt die klassische Soziallehre der katholischen Kirche kein adäquates Analyseinstrumentarium, mit dem diese Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse überhaupt wahrgenommen und theologisch angemessen reflektiert werden können.

Theologie der Befreiung und Marx’sche Methode

Um ein entsprechend strukturales Format für Theologie entwickeln zu können, rezipiert und rekonstruiert die Befreiungstheologie die historisch-materialistische Methode der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie. Sie erhebt dabei den Anspruch, dass ihre theologische Anwendung der Marx’schen Ökonomiekritik die ideologischen Konsequenzen einer marxistisch-kommunistischen Weltanschauung vermeidet.

Enrique Dussels Marx-Rezeption

Vor diesem Hintergrund versucht auch der argentinisch-mexikanische Befreiungsphilosoph und -theologe Enrique Dussel, die Marx’sche Theorie als Ethik der Befreiung dezidiert über die Thesen von Marx hinaus zu verallgemeinern. Er ist der Meinung, mit der Marx’schen Kategorie der »lebendigen Arbeit« die Realität des Armen und Unterdrückten (die Lévinas’sche »Exteriorität«), die vom Standpunkt des Kapitals aus durchgängig negiert wird, präzise analysieren zu können. Die spezifisch theologisch zu fassende Exteriorität des Armen wird bei ihm zum Ansatz der Kritik an den zerstörerischen Mechanismen einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Über Marx hinausgehend versucht Dussel, die Kapitalismuskritik methodologisch in einem positiven Entwurf gottgewollter Gesellschaftsordnung zu gründen. Dafür nimmt er die biblische Rede vom Reich Gottes in Anspruch, von der aus er die Befreiung aus Unterdrückung und Ausbeutung denken und praktisch befördern will. ›Reich Gottes‹ fungiert bei Dussel als normativer Horizont der absoluten Exteriorität Gottes, deren basale Positivität mehr als eine bloße Negation unhaltbarer Zustände leistet. Für die systematische Theologie bildet dieser produktive Umgang mit der biblischen Verheißung des Reiches Gottes einen fruchtbaren Neuansatz für die christologische Reflexion von Menschwerdung und Heil.

Rezeption der sozialwissenschaftlichen Dependenztheorie und Globalisierungskritik

Im Zuge der erwähnten, über Marx hinausführenden Theoriebildung nimmt Dussel des Weiteren auf die sozialwissenschaftliche Dependenztheorie (strukturale sozioökonomische Abhängigkeit der ›Dritten‹ von der ›Ersten Welt‹ und nicht einfach ›Unterentwicklung‹ ersterer) Bezug, sodass er auf der Basis der Marx’schen Kritik nicht nur lokal-nationale, sondern auch globale Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen kritisieren und theologisch als ›sündhaft‹ qualifizieren kann.

Aufgabe und Ziel des Forschungsprojektes

Bisher ist das Œuvre Dussels hauptsächlich auf die philosophisch-ethische Komponenten seines Denkens hin befragt worden. Das Forschungsprojekt zielt nun darauf ab, gerade die größtenteils nur in spanischsprachigen Publikationen vorliegende Marx-Rezeption Dussels werkgenealogisch zu erschließen und davon ausgehend systematisch-theologisch die Bedeutung der Befreiungsphilosophie Dussels zu entfalten. Insbesondere soll Dussels Konzept eines »sakramentalen Materialismus« für die Entwicklung eines strukturalen Formates in Christologie und Soteriologie fruchtbar gemacht werden. Ziel ist es, die in der christlichen Theologie von heute häufig nur abstrakt geleistete Thematisierung von Armut und Unterdrückung auf diese Weise material-geschichtlich zu konkretisieren und die Heilsverheißung des Glaubens an die Menschwerdung Gottes, die vorrangig den Armen die Rettung ihrer geschöpflich-leibhaften Würde zuspricht, soteriologisch konziser zu fassen.

Konkretes Vorgehen

Konkret sollen dazu folgende Schritte bearbeitet werden:

  1. Zunächst wird Dussels sog. ›Marx-Trilogie‹ (La Producción Teórica de Marx. Un Comentario a los Grundrisse (1985); Hacia un Marx desconocido. Un Comentario de los Manuscritos del 61–63 (1988); El último Marx (1863–1882) y la liberación latinoamericana. Un comentario a la tercera y a la cuarta redacción de »El Capital« (1990)) systematisch erschlossen.
  2. Anschließend wird der Befund inhaltlich sowie methodologisch in den Gesamtkontext seines befreiungsphilosophischen sowie -theologischen Denkens eingeordnet. Dabei sollen v.a. (a) Dussels methodologischer Wandel hin zum analektischen Moment der positiven Dialektik, (b) die Identifikation der ›lebendigen Arbeit‹ (Marx) mit der Exteriorität (Lévinas), (c) eine christlich-befreiungstheologische Interpretation des historischen Materialismus als sakramentalem Materialismus sowie (d) die biblisch-theologischen Diskurse um ›Volk Gottes‹, ›Reich Gottes‹ und ›Gericht‹ Berücksichtigung finden.
  3. Schließlich soll auf der Basis dieser Ergebnisse ein strukturales Format von Christologie entworfen werden, das die erwähnten Theologumena von ›Volk Gottes‹, ›Reich Gottes‹ sowie ›Gericht‹ aufgreift und die systemische Relevanz der Heilsverheißung des christlichen Glaubens einzulösen vermag.

Fazit

Erst in dieser zur klassischen Soteriologie und Inkarnationschristologie komplementären struktural formulierten Christologie können (1) Strukturen sowie Mechanismen der Inhumanität adäquat erkannt sowie theologisch als ›widergöttlich‹ qualifiziert werden und kann (2) die Relevanz christlicher Theologie für eine (besonders auch sozioökonomische) Humanisierung von Welt und Mensch plausibilisiert werden.

Literatur