Die Gräber der Könige von Juda lesen. Zu den Beschriftungen der königlichen Nekropole in biblischen, historiographischen und rabbinischen Texten
Dissertationsprojekt von Simon Steinberger
Betreuung: Prof. em. Dr. Klaus Bieberstein
Die Gräber der Könige von Juda sind nicht nur eine archäologische Ortslage am Südosthügel Jerusalems. Sie bilden vielmehr Zentren der Sinnzuschreibung in den Texten der biblischen, historiographischen und rabbinischen Literatur. Im Zentrum meiner Forschungen steht die Frage, mit welchen Bedeutungen diese Texte die Königsgräber »beschriftet« haben. Das Spektrum reicht von der verräumlichten Erinnerung an das Ergehen Jerusalems über einen Versuchsaufbau für die Theodizee hin zur auch heute brisanten Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Generationen zueinander – diese Diskurse sind mit den Texten über die Nekropole verwoben, an ihnen entsponnen und durch sie begreifbar.
In den Jahren 1913–14 und 1923–1924 hat Raymond Weill Kammergräber am Südostabhang der Stadt ergraben und als eisenzeitliche Grabanlage der Königszeit identifiziert[1]. Wiewohl diese Deutung in der Kritik steht, kann – das gilt es zu sortieren und zu plausibilisieren – die ergrabene Anlage als dynastische Nekropole nach 2 Kön 2,10 gelten. Ihre historische Bedeutung als Ort der Bestattung der Könige von Juda wird in den nachfolgend genannten Textcorpora überschrieben und so die Ortslage selbst zum Bedeutungsträger für theologische Konzepte.
Die beiden biblischen Geschichtswerke fokussieren konkurrierende Modelle. Während die Bücher der Könige die Geschichtsdarstellung in generationenübergreifendem Zusammenhang formatieren, setzt die Chronik eine Dramaturgie an, nach der Gottes Gerechtigkeit jeder Generation individuell zuteilwird – diese Differenz lässt sich an den Bestattungsnotizen beider Texte ablesen. Die Königsgräber werden so zur geschichtstheologischen Verhandlungsmasse und in der Chronik zur »letztmögliche[n] Stelle, an der einen König das Handeln Jahwes noch erreichen konnte«[2]. Weitere biblische Erwähnungen der Königsgräber stehen in davon verschiedenen Zusammenhängen: Neh 3,16 und Ez 43,7–9 verhandeln in ihren Kontexten die Bedingungen für einen Neubeginn, wohingegen Apg 2,29 die neutestamentliche Zeit mit der Erinnerung an König David vernetzt.
Auch in der griechischen Geschichtsschreibung und im rabbinischen Schrifttum werden die Gräber der Könige von Juda codiert – als Garant des Bestehens von Herodes' Herrschaft bei Flavius Josephus etwa oder in der sekundären Erklärung ihrer »Innenstadtlage« in der Tosefta. All diesen Texten ist gemein, dass sie Geschichte im Horizont Gottes verhandeln, ihre Konzepte verräumlichen und an konkreten Orten anschaulich werden lassen. Anhand der Königsgräber von Jerusalem will mein Forschungsprojekt diese Prozesse sichtbar machen, ihre Befunde analysieren und in den entsprechenden theologischen Diskursen verorten.
[1] s. u. a. Weill, Raymond: The city of David. Report on the Excavations undertaken in Jerusalem, on the Site of the Ancient City. Campaign of 1913–1914, in: Shanks, Hershel (Hg.): The City of David. Revisiting Early Excavations. English Translations of Reports by Raymond Weill and L.-H. Vincent. Notes and Comments by Ronny Reich, Washington D. C. 2004, 3–98.
[2] von Rad, Gerhard: Theologie des Alten Testaments. Bd. 1: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München 91987, 361.