HABILITATIONSPREIS DER SPARKASSE BAMBERG 2022

PD Dr. habil. Heléna Tóth

Habilitation: Ritual Governance. Socialist Name Giving Ceremonies and Funerals in East Germany and Hungary, 1949-1989

Taufe oder Namensgebung? Religiöse oder weltliche Bestattung?  Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Gewissens- und Glaubensfragen in kommunistischen Staaten zum Marker politischer Loyalität. Giovanni Guareschis populäre Romane über die Fehde  zwischen dem katholischen Priester Don Camillo und dem kommunistischen Bürgermeister Giuseppe Potazzi (Peppone) in einem italienischen Provinznest übersetzten diesen grundsätzlichen  ideologischen Konflikt in die Alltagssprache der Nachkriegszeit. Selbst in Guareschis stark idealisierter Welt, wo der Sohn von Peppone auf den Namen „Lenin Camillo“ getauft wurde, wurde aber  klar, dass die Konkurrenz zwischen Weltanschauungen und ihren dazugehörigen rituellen Praktiken politische Machstrukturen erzeugten.

Die Habilitationsschrift Ritual Governance. Socialist Name  Giving Ceremonies and Funerals in East Germany and Hungary, 1949-1989 untersucht die Versuche kommunistischer Regime, aus ihrer Staatsideologie rituale Praxis abzuleiten. Die Arbeit  führt den Begriff des „ritual governance“ ein, um die Aushandlungsprozesse zwischen staatlichen und kirchlichen Akteuren in Bezug auf die als „Ersatzrituale“ titulierte sozialistische Namensweihe  und Beerdigung aufzudecken.

Anhand der Auswertung zentraler Vorgaben, Verwaltungsquellen, sowie ritueller Praxis stellt die Arbeit die Erfindung von Ritualen für den sozialistischen „Neuen  Menschen“ als einen Prozess des Experimentierens dar. Rituelle Formen wurden nicht nur als Machtinstrumente stets optimiert, Machtstrukturen selbst entstanden erst in den Diskussionen über  Rituale, Za Machtkonflikte zwischen Verwaltungsinstanzen in diesem Feld ausgefochten wurden, und die Exegese ideologischer Vorgaben auf der lokalen Ebene dort besonders intensiv stattfand.  Zusätzlich zeigt die Arbeit die zentrale Bedeutung internationaler Expertennetzwerke für die Entstehung nationaler Formen sozialistischer Kultur auf.

Insgesamt leistet die Habilitationsschrift einen  Beitrag zur Kultur-, Politik- und Sozialgeschichte kommunistischer Herrschaft in Ost- und Mitteleuropa, stellt aber auch grundsätzliche Fragen nach dem Spannungsfeld zwischen Ritualen  und Politik.

 

Heléna Tóth ist akademische Oberrätin a.Z. an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Nach Ihrem PhD an der Harvard University lehrte sie an der Boston University, und war Excellence Fellow an  der LMU München. Seit 2014 ist Bamberg ihr akademisches Zuhause. Ihre Forschung und Lehre wurden u.a. von der Columbia University, Harvard University, der Otto-Friedrich-Universität und  dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst anerkannt.