Kaiser Friedrich II.
1194-1250
Klaus van Eickels/Tania Brüsch:
Friedrich II. Leben und Persönlichkeit in Quellen des Mittelalters,
Düsseldorf: Artemis & Winkler 2000
ISBN 3-538-07093-8.
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Ergänzungen zu Kap. 29
Die Eskalation des Konfliktes:
Die zweite Bannung Friedrichs II. durch Gregor IX. und der Vorwurf der
Häresie
S. 363 f. erhält folgende Fassung:
Nikolaus von Calvi
Mit allen Attributen des Häretikers ausgestattet erscheint
Friedrich II. in der Vita Innozenz’ IV., die sein Kaplan, der Franziskaner
Nikolaus von Calvi (de Carbio), Bischof von Assisi (1247/1250-1273),
verfaßte. Seine Vorwürfe gegen Friedrich gipfeln in der Aussage,
er habe sich homosexuellen Handlungen hingegeben. Dies scheint aus heutiger
Sicht schlecht zu dem von Innozenz IV. in Lucera vermuteten "Harem sarazenischer
Konkubinen" und der von Nikolaus selbst aufgestellten Behauptung zu passen,
Friedrich habe sizilische Kirchen in Häuser für seine Dirnen
umgewandelt. In mittelalterlichen Kategorien dagegen sind beide Verhaltensweisen
nur extreme Ausdrucksformen der allgemeinen, allen Menschen durch die Erbsünde
angeborenen Neigung zum Laster, die allerdings – so die seit 1233 nachweisbare
Auffassung der Inquisitoren – vor allem Häretiker ungezügelt
ausleben, da sie bei ihnen nicht durch die Richtschnur des rechten Glauben
in Schranken gehalten wird.
Die Entweihung von Altären, die Schändung von
Jungfrauen und als schwerwiegendste Verfehlung homosexuelles Verhalten
gehörten zugleich zum festen Bestand westlicher Vorstellungen von
den Lehren des Islam, den man vielfach für eine aus dem Christentum
hervorgegangene Häresie hielt. Ganz ähnliche Worte wie Nikolaus
von Calvi hatte schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts Guibert von Nogent
in seiner Geschichte des Ersten Kreuzzugs verwendet, um den islamischen
Gegner zu beschreiben. Indirekt wird Friedrich II. so in die Nähe
der Sarazenen gerückt, obwohl der in der päpstlichen Propaganda
der vierziger Jahre so wichtige Vorwurf der Zusammenarbeit mit den Muslimen
weder hier, noch an anderer Stelle der Vita ausgesprochen wird. Rückblickend
sagt Nikolaus von Calvi über Friedrich:
Dieser Tyrann bedrängte vielfach die Klöster der Mönche,
die Häuser der Johanniter und Templer und anderer Ordensleute. Er
hielt den katholischen Glauben nicht, begünstigte öffentlich
die Häretiker, tötete auf ruchloseste Weise Bischöfe, Franziskaner
und Weltkleriker zur Schande Jesu Christi und der Kirche. Andere Priester
verpflichtete eine seiner Anordnungen, (Eide) zu schwören, (was das
Kirchenrecht untersagt), und er ließ sie in Gegenwart von exkommunizierten
und mit dem Interdikt belegten Personen Gottesdienste feiern. Benevent
und viele andere Gebiete und Burgen der Kirche machte er dem Erdboden gleich.
In einer Stadt der Emilia ließ er die Hauptkirche abreißen
und dort seine Burg errichten. In Apulien (…) ließ er einen dem Herrn
geweihten Altar abreißen und an derselben Stelle Latrinen bauen.
In verschiedenen Gegenden des Königreichs Apulien, errichtete er dort,
wo Gott geweihte Kirchen gestanden hatten, Häuser für seine Dirnen.
Und nicht zufrieden mit jungen Frauen und Mädchen, litt er als Verruchter
an einem schimpflichen Laster (infami vitio laborabat), das fürwahr
schändlich zu denken, schändlicher auszusprechen, am schändlichsten
aber auszuüben ist. Denn diese Sünde, gleichsam (die Sünde)
Sodoms, predigte er öffentlich und hielt sie in keiner Weise geheim.
Wozu sollte ich weiter seine ruchlosesten Handlungen einzeln aufzählen?
O: Archivio della Reale Società Romana di Storia
Patria 21 (1898), S. 102 f. – Ü: van Eickels – L: van Cleve (1972),
S. 420; Kantorowicz (1927), S. 287 f.; HB 1.1, S. CXCI f.
Im 14. Jahrhundert interpolierte der Verfasser der "Gestes
des Chiprois", einer um 1325 kompilierten Geschichte Zyperns bis 1309,
dieses Bild Friedrichs II. aus einer westlichen Quelle in die Darstellung
des "Krieges zwischen Kaiser Friedrich und Johann von Ibelin" Philipps
von Novarra:
In seiner Jugend, bevor er Kaiser wurde, erwies er sich als hervorragend,
nach seiner Erhebung zum Kaiser jedoch strebte er danach, die heilige Kirche
zu erniedrigen und zu verletzen und die Existenz edler Männer zu zerstören.
Er ehrte Unfreie und Männer niedriger Herkunft. Er erhob und verteidigte
Diebe, Mörder und andere, und diese Dinge tat er allein mehr als jene
anderen, gegen die er sie verteidigte, tun konnten. Er war ohne Maßen
grausam und ohne Mitleid. Er war verräterisch und schlecht und kein
Vertrauen konnte in seine Eide und Versprechungen gesetzt werden. Obwohl
er furchtsam war, war er doch höchst tätig, die Verehrung des
katholischen Glaubens durchzusetzen. Ohne die Würde der Kleriker,
Geschlecht, Alter oder Jugend zu achten, folterte er ausgiebig in unerhörter
Weise: Witwen, Kinder, Alte und Schwache, Erzbischöfe und Bischöfe,
Mönche, sie alle beraubte er ihres Lebens und ihrer Güter. In
der Wollust wandte er sich gegen die Natur, so daß er in seinen Ausschweifungen
Nero übertraf: Unzählbar waren seine Ehebrüche und außerehelichen
Unzuchtshandlungen, und überdies war er ein Sodomit.
O: Recueil des historiens des Croisades. Documents arméniens,
Bd. 2: Gestes des Chiprois, § 102 - Ü: van Eickels - L: John
L. La Monte, The Wars of Frederick II against the Ibelins in Syria and
Cyprus, New York 1936, S. 4 f. (insb. Anm. 2) und S. 190 (engl. Übers.)
Im 17. Jahrhundert wurde dieser Gedanke von katholischer
Seite erneut aufgegriffen, um ein negatives Gegenbild zur protestantischen
Darstellung Friedrichs II. zu entwerfen. Der polnische Dominikanerprediger
Abraham Bzowski (1567-1637), der auf Wunsch Papst Pauls V. die Kirchengeschichte
des Cesare Baronio für die Jahre 1198 bis 1572 fortsetzte, schrieb
zum Jahr 1246:
Friedrich setzt in diesem Jahr die Belagerung der Stadt Parma fort (…).
Inzwischen beging er viele äußerste Grobheiten. Gefangene aus
verschiedenen Gegenden (…) ließ er verstümmeln (truncari),
metzeln (laniari) und halbtot mit großen Geschützen in
die Stadt schleudern. Auch vor der weiblichen Scham mäßigte
er sich nicht, wenn je arme Frauen, die heimlich aufs Feld gegangen waren,
in die Hände der Sarazenen und Friedrichs fielen. Auch mit unaussprechlicher
Lust befleckte sich Friedrich: In Gärten und Weinbergen verbrachte
er seine Zeit inmitten von Scharen verführerischer Mädchen und
herangewachsener Lustknaben, sich an richtiger und verkehrter Ausschweifung
(postera et praepostera lascivia) erfreuend, nachdem er sich genug
mit Wein erhitzt oder von der Schlachtbank sich noch nicht abgekühlt
hatte.
O: Abraham Bzowski (= Bzovius), Annales Ecclesiastici,
Bd. 13, Köln 1616, Jahr 1246, Abs. 7, Sp. 527 (tw. zitiert bei: HB
1.1, S. CXCI, Anm. 3) – Ü: van Eickels
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