Finanz(system)krisen

Bezogen auf Verbraucherfinanzen & Verbraucherbildung könnte die so genannte Finanz(system)krise als Chance genutzt werden, die schon länger bekannten Probleme systematisch zu bereinigen.

(1)    Verbrauchergerechtes systematisches Rechtssystem („Masterplan“) mit Beweislastumkehr für alle verwandten Bereiche der Verbraucherfinanzen und der Altersvorsorge einschließlich einer unabhängigen empirischen Evidenzbasierung mit Realitätssinn und Verbraucherbeteiligung mit geeigneten Methoden.
Systematische Regulierung der Finanzdienstleistungen und Altersvorsorgeprodukte für eine faire Verteilung der Kosten und Nutzen sowie eine faire Verteilung der Produktverantwortung.

(2)    Regulierung und Verbraucherbildung aus einer Hand, praxisbezogen und wirksam.

  • Verbraucher als unterschiedliche Menschen in verschiedenen Situationen akzeptieren.
  • Die überwiegende Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sind ökonomisch nicht ungebildet oder uninteressiert, gerade auch junge Erwachsene nicht. Es besteht genügend großes Interesse an Themen wie Finanzen und Geld.
  • Selbst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anbietern können viele Regeln nicht verstehen oder erklären?!
  • Mangelnde Bildung oder ineffiziente Regulierung?
    >>> Notwendig sind wenige, verständliche, nachvollziehbare und auf wirklich wichtige Probleme fokussierte Regeln mit wirksamer Kontrolle und einfacher Durchsetzung!
  • Wichtig ist: Transparenz, Verständlichkeit und Vergleichbarkeit von Informationen sind eine notwendige Bedingung in der sozialen Marktwirtschaft.
  • Aber: Immer mehr Informationen und immer mehr Regeln führen NICHT zu mehr selbstverantwortlichem Handeln und Wettbewerb.
  • Hinreichende Bedingung ist vielmehr:
    Die Qualität, nicht die Quantität der Informationen ist zentral.

(3)    Zielgerichtete praxisorientierte Information und Aufklärung von Verbrauchern, samt einer systematischen, standardisierten, verständlichen und vergleichbaren Regulierung der Produktinformation und der Beratung.
Verpflichtende übersichtliche und vergleichbare regelmäßige Information über alle Anwartschaften aus allen Säulen der Altersvorsorge (gesetzlich, betrieblich, privat).

Vier ausgewählte Felder der Verbraucherfinanzen und Verbraucherbildung mit erheblichem Handlungsbedarf:

Beispiel 1: PIBs und KIDs – Produktinformationsblätter / Produktkennzeichnung

  • Klar, einfach, verständlich und vergleichbar, in Euro und Cent!
    Zunächst Darstellung der Risiken (inkl. Verfügbarkeit), dann der Wertentwicklung (inkl. aller Kosten), dann der Portfolioeffekte.
  • Einheitlich für alle aus Verbrauchersicht ähnliche oder verwandte Produkte: Anlage, Finanzierung, Zahlungsverkehr.
    Also nicht: PIB für Finanzinstrumente gem. WpHG, KI(I)D für Investmentfonds gem. OGAW/WpHG, VIB gem. VermAnlG, PIB für Versicherungen gem. VVG, „individuelles“ PIB für „Riester“-Produkte gem. AltvVerbG (auf der Basis kaum mehr lesbarer „Muster-Produktinformationsblätter“) oder gar keine vergleichbaren Regeln für Zinsprodukte des Einlagengeschäfts.
  • Möglichst keine Kennzahlen.
  • Belastbare Aussagen, für die Anbieter haften.
  • Aussagen zur Geeignetheit von Produkten (siehe Beispiele weiter unten).
  • Laufende Überprüfung mit klaren Sanktionen bei Verstößen gegen Kennzeichnung (Marktverbot für Produkte).
  • Konkrete Mustertexte vorgeben (ganzheitlich), also nicht nur Mustergliederungen oder nur ein Begriffs-Lexikon (Glossar) >>> Praktikabilität!

Beispiel 2: Verbraucherbildung – Meta-Bildung auf fundierter Grundbildung

  • Expertise finden, ohne Experte werden zu müssen. Aberglaube, man könne und müsse alles selbst wissen und tun.
  • Verfügbarkeit, wenn man Wissen braucht, nicht „Nürnberger Trichter“. Nicht „kleine Wirtschaftsweise“ ausbilden, sondern ganz praktisch Verbesserung der Sensitivität für die „finanzielle Gesundheit“ (Nachfragen, „gesundes Misstrauen“).
  • Vertrauenspersonen und „Lotsen“ erkennen, lebenslanges Lernen, auch für Erwachsene, nicht nur in Schulen; Üben an Praxisfällen, nicht nur theoretisch.
  • Förderung von Risikoverständnis & Selbstkontrolle:
    Das größte Risiko besteht darin, zu glauben, man könne Risiken vermeiden.
    o    Basis-Wissen über die relevanten Fakten und Zusammenhänge in der analogen und digitalen Welt (Risikoverständnis).
    o    Fertigkeiten entwickeln, in den lebenswichtigen Bereichen selbst kontrollieren zu können (steuern, statt gesteuert zu werden).
    o    Möchte ich wirklich selbst, oder werde ich nur „gemöchtet“?
  • Erkennen, welche Produkte man wirklich braucht, wie sie konkret „wirken“.
    Dies gelingt nur bei guter Kennzeichnung (siehe oben). Es bleiben dann nur wenige Produkte übrig! Nicht Detailwissen, wie Produkte funktionieren.

Beispiel 3: Beratungsprotokolle

  • Für Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Schaden als Nutzen!
    o    Allein der Umstand, dass der asymmetrisch deutlich begünstigte „Experte“ (Verkäufer, Mittler, Makler, Berater etc.) die Aufzeichnung erstellt, schafft Fakten, denen dann erst einmal zu widersprechen wäre, falls diese nicht korrekt wären. Gerade aber um die Korrektheit und die Übereinstimmung (Passung) zwischen Beratungsgespräch und Beratungsdokumentation überprüfen zu können, benötigte ein Verbraucher erst eine entsprechende Expertise, die er im Zweifel weiterhin kaum hat.
    o    Hinzu kommen die aus der Behavioral Finance bekannten „biases“, „Heuristiken“ und das „als ob“-Paradoxon, diese lassen sich nicht „wegregulieren“.
  • Für Anbieter ebenfalls mehr Schaden als Nutzen; oft eher geschäftsschädigend.
  • Effektiv, ggf. auch effizient und insbesondere verbraucherfreundlich dagegen wäre eine grundsätzliche Beweislastumkehr, kombiniert mit einer einfachen und preiswerten Rechtsdurchsetzung und Kontrolle.
  • Ein entsprechend gestaltetes PIB (siehe oben), welches auch die Geeignetheit von Produkten umfasst (siehe nachstehendes Beispiel), wäre wesentlich zielführender und verbraucher- und anbieterfreundlicher.

Beispiel 4: Zur Geeignetheit von Finanzprodukten

  • Viele Verbraucher brauchen nur ganz wenige Finanzprodukte, die tatsächlich notwendig und geeignet sind!
  • Die wesentlichen Schritte bei Kauf und Nutzung von Finanzprodukten sind oft nicht schwerer als bei Haushaltsgeräten, der Urlaubsbuchung oder beim Auto.
  • Verbraucherfinanzen zu regeln ist für viele Verbraucher und Situationen einfacher als ihnen suggeriert wird.
  • Niemand kann mehr als 1 bis 2 Jahre „voraussehen“. „Grobe“ Schätzungen reichen, genauere „Rechnungen“ sind sinnlos.
  • Den Großteil der Flut an Informationen und Produkten, inkl. Werbung, Börsen-TV, Werbeinfos von Vertretern, Verkäufern, Vermittlern etc. sollte man weitgehend ignorieren.
  • Basisportfolio (safety first, low risk; „zentrale Risiken reduzieren”):
    o    Kranken- und Pflegeversicherung;
    o    ca. 2 Monatsgehälter Tagesgeld („eiserne Reserve“), soweit überhaupt möglich;
    o    Privathaftpflichtversicherung;
    o    Berufsunfähigkeitsversicherung;
    o    ggf. Kfz-Haftpflichtversicherung; ggf. Auslandsreisekrankenversicherung;
    o    Schulden für Konsum vermeiden; Dispositionskredit nicht verwenden.
  • Zusatzportfolio (yield/income, „das Einkommen absichern“):
    o    Altersvorsorge-Anlage ab 5 Euro p.M. (risikoärmer/-reicher; ca. 75:25, 67:33 oder 50:50): Investments in weltweit breit streuende Fonds auf Basis marktgängiger Indices (ETFs ohne Swaps u. Leihe; Online-Depot). Vorher: Schulden tilgen!;
    o    ggf. „Riester“-Vertrag;
    o    ggf. Risikolebensversicherung (KEINE Kapitallebensversicherung!);
    o    Kinderinvaliditätsversicherung (ggf. Unfallversicherung);
    o    ggf. Wohngebäudeversicherung; ggf. Verkehrsrechtsschutzversicherung?; ggf. Kfz-VK/TK; ggf. weitere spezielle Haftpflichtversicherungen (Tiere, Immobilie etc.).
  • Spekulationsportfolio (appreciation/growth, „Geld ist übrig“):
    o    Weitere Anlage („mehr Geld vorhanden, als für Basis- und Zusatzportfolio gebraucht wird“, Totalverlust möglich, „Spielgeld“), z.B. offene und geschlossene Fonds, Derivate, typische/atypische stille Beteiligungen etc.;
    o    weitere Versicherungen („mehr Geld vorhanden als für Basis- und Zusatzportfolio gebraucht wird“): ggf. stationäre Zusatzversicherung mit Vorerkrankung; meist aber eher Übersicherung, z.B. Zusatzversicherungen bei „Premium“-Kreditkarten, fondsgebundene Lebensversicherung, Kapitallebensversicherung, Ausbildungsversicherung, Hochzeitsversicherung, Insassenunfallversicherung, Krankenhaustagegeldversicherung etc.