Die Strebewerke der Kathedrale von Salisbury
Form, Konstruktion und Baugeschichte

Betreuung: Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling

Mitarbeiter: Dipl.-Ing. Ann-Christin Wittek

Cooperationpartner: Salisbury Cathedral and Peter Edds, Head of Buildings and Estate

Salisbury Cathedral is one of the finest examples of a medieval building in England. By kind permission of the Cathedral and Peter Edds, Head of Buildings and Estate and in cooperation to the University of Portsmouth, it was possible to explore und survey the butresses of Salisbury Cathedral for its Form, Construction and Building History.

Die Kathedrale von Salisbury wurde in einem relativ kurzen Bauabschnitt von 38 Jahren vollständig errichtet. Angefangen mit der Grundsteinlegung im Jahre 1220 bis zur Weihe im September 1258. Der Stil der Kirche ist einheitlich und sehr additiv in frühgotischer Weise errichtet, dem in England so genannten „Early English“. Der später erhöhte Vierungsturm mit seiner knapp 122 m hohen Turmspitze weist mit seiner gesteigerten Ornamentverwendung den spätgotischen Stil auf, den „Decorated Style“ des frühen 14. Jahrhundert.
Dieser zunächst einheitlichen, mit wenig oder keiner Veränderung geprägten Kirche steht die Verwendung zahlreicher Strebebögen entgegen, die mit ihren variierenden Erscheinungsformen, ihrer Geometrie und Konstruktion, scheinbar ohne einheitliches System verwendet wurden. Die Auseinandersetzung mit den Strebewerken der Kathedrale von Salisbury ist ein wichtiger Ansatzpunkt in der Entwicklungsgeschichte der Kathedrale selbst, aber auch hinsichtlich der Wandlung der Bautechnik im Laufe der Jahrhunderte.

Methode
Im Rahmen einer Abschlussarbeit des Masterstudienganges Denkmalpflege - Heritage Conservation an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg sollten die verschiedenen Strebebogen dokumentiert und analysiert werden. Ziel war es, aufbauend auf die bisherigen Erkenntnisse der Bauforscher Tim Tatton-Brown und Richard Morris, eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung hinsichtlich der unterschiedlichen Bautechnik, der Form und mögliche Hintergründe der Baugeschichte zu ermitteln. Die Analyse der Strebewerke führte angefangen
vom konstruktiven Gesamtsystem in seiner Ausführung und Funktion bis ins Detail des Strebebogens.

Im Jahr 2008 wurde in zwei Kampagnen, mit der Unterstützung der Verantwortlichen der Salisbury Kathedrale und der Universität von Portsmouth, die Grundlage der weiteren Forschung an den Strebewerken durch die Erstellung der für die Analyse notwendigen Planunterlagen geschaffen.

Dazu gehörte die Aufnahme des Gesamtsystems als Querschnitt und die Aufnahme des Strebebogens mit digitalen Messinstrumenten (Tachymeter Leica Totalstation), sowie die Aufnahme bestimmter Bereiche durch entzerrte Photogrammmetrie (Steinschnitt). Auf Grundlage der damit entstandenen Pläne konnten in der zweiten Kampagne die Querschnitte [Abb.10] und Steinschnittplänen [Abb.11] vervollständigt werden. Die Bereiche des Handaufmaßes konzentrierten sich an bauforscherisch interessanten und zugänglichen Anschlusspunkten an benachbarte Bauteile [Abb.13]. Diese Untersuchungsmethode wurde bei allen vertretenden, unterschiedlichen Strebebogentypen durchgeführt.

Bautechnik
Das Strebewerk der Kathedrale von Salisbury scheint auf den ersten Blick zunächst ohne System angeordnet zu sein. Form und Verteilung sind in den verschiedenen Gebäudeteilen unterschiedlich. Nach Analyse der Verteilung der innen- und außenliegenden Strebebögen [Abb.2 und 3] ließen sich in der Gesamtbetrachtung die Strebebögen in 5 verschiedenen Typen unterteilen, die sich in Form, Konstrktion und Ausführung voneinander charakteristisch unterscheiden [Abb.4-9]. Die untersuchten Typen der Strebebögen weisen unterschiedliche Bautechniken auf und deuten auf verschiedene Denkansätze, der Vorstellung des Kraftabtrags und der zeitentsprechenden Umsetzung. Dabei muss man die zuvor erwähnte Funktion der Kontaktzonen und der Neigungswinkel der Geometrie berücksichtigen. Ein weiterer Aspekt ist die Bautechnik des Strebebogens selbst: Die Funktionstrennung seines Aufbaus (Baulagen), die Art und Weise seines Einbindens in benachbarte Bauteile, sowie die Frage nach seiner Errichtung. Die unterschiedlichen Typen der Strebebogens wurden im Gesamtsystem in ihrer Verformung und Kontaktzonen zum Lastabtrag beurteilt und konnten durch die Analyse ihrer Anornung und Verteilung, sowie ihrer Aufführung in eine relative Chronologie gebracht werden.

Ergebnis
Aufgrund der Analyse zahlreicher Beobachtungen und Befunde an den Strebewerken der Kathedrale von Salisbury und den daraus gewonnenen Erkenntnissen kann man sich dem ursprünglichen Bauablauf und der Bausubstanz annähern und diesen rekonstruieren. Der Typ 1 kann als einziger Strebebogen in seiner massiven „Einfachheit“ und durch das einheitlichen, regelmäßigem System als bauzeitlich geplante Stützkonstruktion eingeordnet werden. Im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte folgte das nachträgliche Einbringen von weiteren Stützstreben. Die Bautechnik und die spezifische Ausführung der folgenden Strebebogentypen, sowie das Einbinden in Mittelschiffwand und Strebepfeiler, zeigen eine Entwicklung der Typen hinsichtlich ihrer materialsparenden Umsetzung und immer weiter übergreifenden Funktion. Diese Ausweitung des Systems begann mit dem Bauabschnitt der Turmerhöhung, später folgten weiteren als Reaktion auf (bauliche) Veränderungen. Ausgehend von einer massiven, eher überdimensionierten und im Steinschnitt einfachen Ausführung, steigerte sich die Umsetzung der verschiedenen Typen in eine materialsparende, funktionsorientierte, jedoch auch komplexer und aufwendiger verarbeitete Methode.

II/2009