Der Schrein des Hl. Swithun, Winchester Cathedral, England.Aufnahme der Bruchstücke und Rekonstruktion.

Bearbeiter: Dipl.-Ing.(FH) Christian Schalk, Christine Barz B.A.
Betreuer: Prof. Dr.- Ing. Stefan Breitling
Adresse: Kathedrale, Winchester, England

Im Jahr 862 wurde der Heilige Swithun auf dem Gelände der heutigen Kathedrale von Winchester in der Grafschaft Hampshire in Südengland beigesetzt. Seit dieser Zeit pilgerten jährlich viele Gläubige zu dem Schrein, in dem seine sterblichen Reste aufbewahrt wurden. Im Laufe der Zeit erfuhr die Anlage im Retrochor der Kathedrale unterschiedliche architektonische Gestaltungen. Die letzte Fassung erhielt sie 1476 unter Kardinal Bischof Beaufort. Während der englischen Reformation, als man dem Heiligenkult überall ein gewaltsames Ende bereitete, zerschlugen Parlamentssoldaten 1538 den steinernen Unterbau, schmolzen den Schrein des Heiligen ein und zerstreuten seine Gebeine.

Fragestellung, Forschungsstand und Methodik
Mehrfach tauchten in den letzten Jahrzehnten bei Bauarbeiten im Umfeld der Kathedrale Bruchstücke fein bearbeiteter Architekturdetails aus Purbeck-Marmor auf, die aufgrund ihrer Qualität und stilistischer Merkmale dem Unterbau des Schreins zugewiesen wurden. Durch die Forschungen des archäologischen Leiters der Kathedrale, Dr. John Crook, konnten erste Anhaltspunkte zu Erscheinungsbild, Aufstellungsort und zu den baulichen Zusammenhängen am Schrein gewonnen werden. Im Rahmen einer Abschlussarbeit des Masterstudiengangs Denkmalpflege – Heritage Conservation an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg sollten die verschiedenen Bruchstücke dokumentiert und auf Hinweise zu ihrer möglichen Verwendung am Unterbau des Schreines untersucht werden. Ziel war es, aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen einen wissenschaftlich fundierten Rekonstruktionsvorschlag zum Erscheinungsbild des Schreines von 1476 zu erarbeiten.

Im Sommer 2007 wurden die Bruchstücke zunächst in einem Steinkatalog registriert. Jedes einzelne wurde ausführlich beschrieben und auf ehemalige Anschlussstellen und Befestigungsspuren hin untersucht. Mit einem Weißlichtstreifenprojektionsscanner der Firma Steinbichler und der Software Comet 5 wurden alle Blöcke räumlich und mit ihren unregelmäßigen Bruchflächen erfasst. Um die genauen Profile zu ermitteln und um herauszufinden, ob und wie die einzelnen Teile aneinander passen könnten, wurden sie zusätzlich von Hand vermessen. Die Profile wurden als Papierschablone noch einmal am Original überprüft. Dabei ließen sich die Bruchstücke unterschiedlichen, aber modularisierten Bauteilen des Schreins zuordnen. Als Grundlage für die virtuelle Rekonstruktionen des Schreins konnten die Stücke zu ganzen Bauelementen ergänzt werden.

Ergebnis
Aus den mittelalterlichen Schriftquellen waren der Aufstellungsort des Schreins und annähernd seine Dimensionen bekannt. Aus der Vermessung eines Fundamentblocks in der heutigen Krypta und der Reste einer Winde zum Herablassen der Schreinabdeckung im Dachwerk über dem Retrochor ergab sich die genaue Lage der Anlage. Aus dem Vergleich der Dimensionen, Winkel und Profilfolgen der Einzelfragmente sowie der Oberflächen und Anschlussflächen ließ sich zweifelsfrei die architektonische Gliederung und die Profilfolgen des Unterbaus des Schreins bestimmen. Er hatte Nischen, vertikal gliedernde Elemente und einen modularen Aufbau in Grund- und Aufriss. Er war aus einer unbekannten Anzahl jeweils gleicher Bauelemente zusammengesetzt. Der Aufbau des Schreins gliederte sich vertikal in mehrere Zonen. Eine oder mehrere Stufen leiteten vom Fußboden zu den Sockelelementen mit Vierpässen über. Darauf folgte eine Abdeckplatte, die den Unterbau für die folgenden Gebetsnischen bildete. Wahrscheinlich sind ein weiterer oberer Abschluss und Schmuckelemente, wie etwa Fialen. Dies lässt sich anhand von Vergleichsbeispielen mit ähnlicher Entstehungszeit erschließen. An oberster Stelle muss sich eine Abdeckplatte befunden haben, die als Aufstellfläche für den eigentlichen Schrein, das Feretrum diente, dem reich geschmückten Behältnis für die Reliquien des Heiligen selbst.
Da insbesondere von den oberen Bauteilen bisher keine Bruchstücke gefunden wurden, sind dort mehrere Möglichkeiten denkbar. Im Rahmen der Masterarbeit wurden verschiedene Rekonstruktionsvarianten als räumliche digitale Modelle vorgelegt.

Diskussion und Ausblick
Die Rekonstruktionsvorschläge zeigen ein wissenschaftlich fundiertes und am Befund orientiertes Ergebnis. Jedoch lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Aussehen des Schreins nicht abschließend bestimmen. Von Seiten der Kathedrale gibt es Überlegungen weitere archäologische Ausgrabungen durchzuführen und man kann auf weitere Fragmentfunde hoffen. In einem weiteren Projekt wird über die materielle Umsetzung der Rekonstruktionsvariante 3 dieser Arbeit nachgedacht. Dabei würde ein maßstäbliches Modell des Schreins in der Kathedrale aufgestellt werden. So könnte diese Arbeit einen Beitrag zur lebendigen Umsetzung der Forschungen in der Kathedrale von Winchester leisten.

V/2008