Palazzo Soranzo van Axel, Cannaregio 6099, Venezia
Dokumentation und Bauhistorische Untersung des Erdgeschosses
Leitung: Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling; Dr. phil. Martin Gaier
Mitarbeiter: Dipl.-Ing. (FH) Peter Dresen, Dipl.-Ing. Anne Geller, Jürgen Giese MA, Jan Fuhrmann
beteiligte Institutionen: Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Kunsthistorisches Seminar der Universität Basel
gefördert durch: Venice in Peril Fund, London
Laufzeit: 2009
Palazzo Soranzo Van Axel bei Santa Maria dei Miracoli liegt in einem der ältesten Wohnquartiere von Cannaregio und zählt zu den bedeutendsten spätgotischen Palästen Venedigs. Durch die Besonderheiten seiner Anlage und Geschichte lässt sich an diesem Palazzo geradezu archetypisch die Wohn- und Repräsentationskultur Venedigs darstellen. 1911 vertrat der Palazzo als freie Nachbildung die Stadt Venedig auf der ethnographischen Ausstellung in Rom.
In besonderer Weise haben sich auch in der Bausubstanz des Palastes Zeugnisse der Kulturgeschichte Venedigs vom Mittelalter bis in die Gegenwart erhalten. Besonders im Erdgeschoss bieten sich wegen der leider für Venedig inzwischen typischen Schädigungen durch das Wasser der Lagune zahlreiche Einblicke in die Konstruktion des Palazzo, die eine Beantwortung bautechnischer und bauhistorischer Fragen erlauben. Da Untersuchungen von Erdgeschossanlagen venezianischer Paläste, in denen die größten Reste von Vorgängerbauten zu vermuten sind, bisher nur wenige vorliegen, steht die Architekturgeschichte des venezianischen Spätmittelalters nach wie vor auf einem unsicheren Fundament. Nicht zuletzt deswegen und wegen der allgegenwärtigen Gefährdung originaler Substanz war eine sorgfältige Dokumentation und eingehende Untersuchung dieses Bauwerkes höchst wünschenswert.
Das Projekt
Dank der Anregung und Vermittlung von Prof. Dr. Wolfgang Wolters, Berlin, und der großzügigen Unterstützung durch The Venice in Peril Fund, vertreten durch Frau Anna Somers Cocks, war es im Frühjahr 2009 möglich, auf freundliche Einladung der Eigentümer und der Planungsbüros eine einwöchige Dokumentation und bauhistorische Untersuchung der Räume im Erdgeschoss des Palazzo Soranzo Van Axel durchzuführen. Dazu wurden alle befundreichen Wandflächen des Innenbereichs photogrammetrisch mit der Zielgenauigkeit 1:20 erfasst.
Ein ausführlicher Mauerwerkskatalog hält die bautechnischen Unterschiede der einzelnen Konstruktionseinheiten fest. Alle bauhistorischen Einzelbefunde, insbesondere Baufugen und ihre Stratigraphie wurden photographisch dokumentiert und in einer Befunddokumentation zusammengestellt. Die Hoffassaden des Palazzo wurden photogrammetrisch im Zielmaßstab 1:20 erfasst. Publizierte Archivquellen wurden stichprobenartig überprüft und um unpublizierte Bildquellen ergänzt. Damit sind die international üblichen Vorarbeiten der Dokumentation und der bauhistorischen Recherche und Begutachtung geleistet, bevor im Rahmen der geplanten Restaurierungen und Sanierungen in den Erdgeschossbereich eingegriffen wird.
Ergebnisse
Im Ergebnis konnten wesentliche Erkenntnisse zur Baugeschichte des Palazzo und zur Bautechnik wichtiger Bau- und Nutzungsphasen gewonnen werden. Es können erste Aussagen zur städtebaulichen Situation und zu den Vorgängerbauten gemachtg werden, aus denen sich die besondere Grundrissfiguration erklärt. Seine heutige Gestalt verdankt der Palazzo vor allem den Baumaßnahmen, die die Familie Soranzo 1473-79 durchführte. Um den Palazzo für die beiden Brüder nutzbar zu machen, schufen sie einen zweiten, gegen die Kirche Santa Maria Miracoli vorgeschobenen Hof mit einem eigenen Landzugang und einer Loggia, ein weiteres Wasserportal im Norden und vor allem zwei Treppenanlagen, mit denen die eine Partei das erste, die andere das zweite Obergeschoss direkt erreichen konnte. Dank des auffälligen Backsteins, der dafür verwendet wurde, lässt sich diese Bauphase gut fassen. Auch die weiteren Veränderungen am Palazzo und an den umgebenden Gebäuden vom 15. bis zum 19. Jahrhundert sind in groben Zügen geklärt. So richtete der Juwelenhändler Francesco van Axel, der 1652 den Palazzo erwarb, über der ehemaligen Calle auf der Südseite bescheidene Behausungen für Dienstboten und passte Türen und Fenster dem herrschenden Stilempfinden an.
Durch die Bauforschung am Objekt konnten außerdem Kriterien gewonnen werden konnten, um die von dem Antiquitätenhändler Dino Barozzi 1920-26 veranlassten Baumaßnahmen Ferdinando Forlatis von älteren Bauphasen zu unterscheiden. Noch heute prägen die Überreste von Barozzis Sammlung, wie Kamine, Türen oder Alkoven, den Charakter der Räume des Palazzo. Nun ist es möglich, bisher umstrittene Teile der Bauornamentik und besondere, in die Wände eingelassene Artefakte eindeutig zu bestimmen und zu klären, ob sie zum originalen Bestand des Palazzo gehören und damit für seine Baugeschichte Zeugniswert besitzen, oder ob sie antiquarische Stücke sind, die im Rahmen der Nutzung des Palazzo als „Showroom“ nachträglich an ihrem heutigen Platz eingesetzt wurden.
IX/2009