Schwerpunkt 2:
Psalmen – Alttestamentliche Ethik
»Was soll ich tun?« – Antworten auf diese Frage wird von Heiligen Schriften erhofft. Man sucht sie in ihren normativen Texten. Aber können biblische Texte als historische Texte überhaupt von Bedeutung für die Gegenwart sein? Alttestamentliche Ethik hat deskriptiv zu sein, so lautete die exegetische Grundüberzeugung lange.
In meiner Habilitationsschrift Strebe nach Schalom! Eine biblisch-ethische Lektüre von Psalm 34 zeige ich zum einen, dass auch poetische Texte wie die Psalmen von ethischer Bedeutung sind. Zum anderen entwickelt ich einen hermeneutischen Ansatz für eine ethische Psalmenlektüre, der insbesondere an Überlegungen von Paul Ricœur anschließt.
Dabei wird einerseits davon ausgegangen, dass die ethische Relevanz biblischer Texte in ihrer Literarizität begründet liegt. Diese lässt fremde Textwelten, die Welt des Textes, entstehen und ermöglicht so eine Distanzierung des Lesenden von sich selbst. Durch die literarische Beschaffenheit der Texte werden Möglichkeitsräume des Denkens und Handelns eröffnet, die fremde, neue und alternative Deutungs- und Wahrnehmungsoptionen in der Welt der Lesenden sichtbar machen.
Andererseits erlaubt die Ricœur’sche Kategorie des Zeugnisses, die geschichtliche Dimension der Psalmen einzubeziehen: Die ethische Bedeutung biblischer Texte zu reflektieren verlangt auch die historische Verortung der Texte in ihrem soziokulturellen Umfeld, in das sie eingebettet sind. Als Zeugnisse fordern sie ein kritisches ethisches Urteil der Lesenden. Ihre Wahrheit und ethische Bedeutung entscheidet sich daran, ob sie auch in der Gegenwart als gerecht bezeugt werden können.
Diesen Ansatz erprobe ich an einer Auslegung von Psalm 34, die zunächst v.a. Semantik, Motivik und Metaphorik auslotet und dann als literarische Kontexte den Psalter, das AT und die außerbiblische Traditionsgeschichte untersucht. Psalm 34 erweist sich als ein Kompendium ethischer Schlüsselbegriffe. Er sammelt in sich ethische Zentralbegriffe wie Schalom oder Zedeqa und Überzeugungen, die vom Kontext des Psalmenbuches und der gesamten Bibel her verstanden, entfaltet und diskutiert werden können. So eröffnet die Welt des Textes von Psalm 34 Optionen der Wahrnehmung von Welt und daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten und formt das ethische Selbstverständnis des Lesenden und Betenden.