DFG-Projekt: "The Environmental Imagination of Mobility: Umwelt und Migration in amerikanischer Gegenwartsdichtung"
Die globale Umweltkrise und wachsende Migrationsbewegungen gehören zu den größten Herausforderungen unserer Zeit; obwohl sie eng miteinander verwoben sind, werden sie erst seit kurzem im Zusammenhang betrachtet. Bisher haben vor allem die Sozialwissenschaften begonnen, Umwelt- und Migrationsfragen miteinander zu verbinden, in den Literatur- und Kulturwissenschaften werden die beiden Bereiche dagegen immer noch weitgehend isoliert voneinander behandelt. Diese Trennung ist umso bemerkenswerter, als es in der Gegenwartsliteratur eine substantielle Gruppe von Gedichten gibt, die sich auf vielschichtige, historisch differenzierte und ästhetisch innovative Weise mit den Wechselbeziehungen zwischen Umweltveränderungen und menschlicher Migration befassen. Das Projekt kombiniert Ansätze aus dem Ecocriticism und den Migration Studies, um diese Forschungslücke zu schließen und zu untersuchen, wie diese Gedichte in ihrer ethnischen und geographischen Diversität, globalen Vernetztheit und sprachlichen Dichte dazu beitragen, Umwelt und Migration im Zusammenhang zu begreifen.
Das Projekt wird erstens verdeutlichen, welche Einsichten amerikanische Gegenwartslyrik in Bezug auf Wechselbeziehungen zwischen Umweltkrise und Migrationsbewegungen eröffnet, die über die oft eindimensionalen Ursache-Wirkung Argumente der Klimaflüchtlingsdiskussion hinausweisen. Dazu gehört ein alternatives Verständnis für Migration als produktive Quelle hochsensibler Umweltperspektiven sowie als integraler Bestandteil menschlicher Umweltbeziehungen, trotz krisenhafter Erfahrungen von Entwurzelung und Vertreibung. Zweitens erschließt das Projekt, welche Bedeutung diesen lyrischen Auseinandersetzungen mit Umwelt und Migration in der amerikanischen Gegenwartskultur zukommt. Es zeigt, dass diese Gedichte an einer Revision von Konzeptionen der USA als nature’s nation und nation of immigrants teilnehmen, indem sie kulturelle Muster von ländlicher Nostalgie, Frontier und Westwärtsbewegung mit Fragen von nicht-menschlicher Mobilität, Umweltrisiko und einer Ökologie des Ungleichgewichts verbinden und amerikanische Landschaften als mobile Orte konstruieren. Drittens erforscht das Projekt, wie die Texte formale und stilistische Möglichkeiten von Lyrik nutzen, um diese Zusammenhänge zu verhandeln, welche Subgenres hierbei entstehen und welche Rückschlüsse dies auf die Entwicklung der amerikanischen Literatur erlaubt. Methodisch erweitert das Projekt die Lyrikanalyse als Kulturkritik in Richtung einer lyrikbezogenen Kultur- und Umweltkritik, und entwickelt die umweltorientierte Analyse von place unter Einbeziehung neuer kulturgeographischer Kriterien so weiter, dass place, displacement und emplacement als mobile Kategorien der Literatur- und Kulturwissenschaft etabliert werden. Verschränkt mit Interpretationen eines neuen, kaum erforschten Textkorpus wird so eine Umwelt- und Migrationsparadigma entwickelt, dessen Produktivität über die Analyse amerikanischer Gegenwartslyrik hinausweist.