Das bandkeramische Erdwerk von Wetzlar-Dalheim "Rittplatz"
Im Zuge flächiger geomagentischer Prospektionen im Umfeld der metallurgischen Fundstellen bei Wetzlar-Dalheim, konnten 2002 auf der Flur Rittplatz Ausschnitte großer mehrteiliger Grabenanlagen detektiert werden, deren Zusammengehörigkeit methodenbedingt nicht als gesichert, aber durch vergleichbare Anlagen (s.u.) immerhin als wahrscheinlich gelten kann. Überwiegend im Inneren aber auch außerhalb der Grabenzüge zeigen sich im Graustufenbild der Geomagnetik die typischen Umrisse bandkeramischer Langhäuser sowie zahlreiche Anomalien, die als Siedlungsgruben angesehen werden können (Abb. 1-2).
Das ursprünglich als Erdwerk mit Wall und Graben zu interpretierende Bauwerk wurde nur teilweise erfasst, nach Norden veschwinden die Gräben unter dem Böschungskörper der Bundesstraße 49, der Südteil scheint durch den mäandrierenden Flußlauf abgetragen. Wir dürfen aber vermuten, dass die Anlage bis auf Tordurchlässe ursprünglich rundum geschlossen war und in einer Lahnbiegung gelegen hatte.
Besonders im nördlichen Teil des Messbildes sind zahlreiche Anomalien erfasst, die als Siedlungsbefunde (Gruben) angesprochen werden können. Darunter zeigen sich auch die typischen Grundrisse bandkeramischer Langhäuser. Charakteristisch sind ihre Nordwest-Südost gerichtete Orientierung, ein von Wandgräbchen eingefasster Nordwestabschluss, sowie Joche aus drei Pfosten und wandbegleitende Längsgruben (vgl. Abb. 3). Diese Eigenschaften lassen sich über weite Teile Europas bei Häusern dieser frühesten Ackerbauern nachweisen. Der Erhaltungszustand der Grundrisse ist sehr unterschiedlich, vorzüglich erhalten scheinen die Befunde unmittelbar südlich der Bundesstraße. Hier lässt sich ein nahezu vollständiger Hausgrundriss erkennen, der eine Länge von über 30 Metern aufweist. Nach seinen charakteristischen Pfostenstellungen gehört er in einen jüngeren Abschnitt der bandkeramischen Kultur. Rund ein Dutzend Häuser können wir so in Ansätzen greifen, die ursprüngliche Zahl wird noch höher gelegen haben. Ein großer Teil der nicht näher angesprochenen Grubenbefunde dürfte ebenfalls der bandkeramischen Siedlungsphase zuzurechnen sein. Allerdings verbergen sich unter den zahlreichen Anomalien auch Gruben jüngerer Zeitstellung. Durch Lesefunde von der Ackeroberfläche ist auf dem "Rittplatz" auch eine Besiedlung während der römischen Kaiserzeit (1.-4. Jahrhundert n. Chr.) und des frühen Mittelalters (7.-9. Jahrhundert) nachgewiesen.
Hinweise zum genaueren Alter der im Magnetogramm erkennbaren archäologischen Befunde bleiben mangels näherer Untersuchungen auf Analogieschlüsse beschränkt. Gleichwohl erlauben sie in ihrer Zusammenschau ein recht deutliches Bild zu zeichnen. Gut mit dem Dalheimer Erdwerk vergleichbar ist die fast vollständig erhaltene spätbandkeramische Anlage aus Usingen (Hochtaunuskreis; vgl. Abb. 4). Solche mehrteiligen Anlagen mit über 2ha Innenfläche sind in Deutschland nur von einigen weiteren Fundplätzen, wie Köln-Lindenthal, Eilsleben bei Magdeburg oder Haunersdorf (Lkr. Deggendorf), bekannt und datieren meist in den jüngeren oder jüngsten Abschnitt der Bandkeramik. Deutlich lassen sie sich von wesentlich kleineren rund-ovalen Erdwerken absetzen, die bereits in der älteren Bandkeramik auftreten können. Die beiden aus Hessen bekannten kleinen Anlagen (Abb. 4) von Rauschenberg-Bracht (Kr. Marburg-Biedenkopf) und Ober-Hörgern (Wetteraukreis) gehören aber gleichfalls erst in die jüngere Bandkeramik.
Die Datierung des Dalheimer Fundplatzes kann auch anhand der Hausbefunde eingegrenzt werden. Die typologisch ansprechbaren Grundrissdetails weisen in die jüngere Bandkeramik. Weitere chronologische Hinweise darf man vom Lesefundmaterial erwarten, doch zeichnet sich gerade dieser Teil des "Rittplatz" durch eine relative Fundarmut aus. Abgesehen von dem Altfund eines geschliffenen Felsgesteinbeils (Abb. 4, 7) gibt es bisher aus dem Bereich des Erdwerkes kaum neolithisches Fundmaterial. Von der benachbarten Flur "Weiße Stein" stammen einige verrollte Keramikscherben (Abb. 5, 1-6), deren Verzierung eine Zuordnung in die jüngeren Stilphasen der Bandkeramik zulässt. Sie deuten daraufhin, dass sich die Siedlung auf der Flussterrasse noch mindestens weitere 200-300m nach Westen erstreckte.
Das Beispiel Dalheim mit seinem geringen bandkeramischen Lesefundniederschlag in Verbindung mit dem obertägig nicht mehr sichtbaren größten Erdwerksbefund dieser Zeitstellung in Hessen zeigt besonders eindringlich die Diskrepanz auf, die zwischen Lesefunden und tatsächlich vorhandenen archäologischen Strukturen bestehen kann. Die an der Oberfläche sichtbaren archäologischen Relikte tragen der ursprünglichen Bedeutung der Fundstelle in keiner Weise mehr Rechnung.
Was bandkeramische Siedler gegen Ende des 6. Jahrtausends v. Chr. dazu veranlasste, ihre Niederlassungen zu bewehren, darüber gibt es zahlreiche Spekulationen. Klar ist, dass in weiten Teilen des Siedlungsgebietes in der jüngeren und jüngsten Kulturphase eine Zunahme solcher Erdwerke erkennbar wird. Es liegt also nahe, darin nicht eine lokale Erscheinung zu sehen, sondern sie als Ausdruck eines tiefergreifenden Wandels zu verstehen, der vielleicht mit dem Ende der bandkeramischen Kultur selbst in unmittelbarem Zusammenhang steht.
Die bandkeramische Siedlung mit Erdwerk bei Dalheim ist nicht isoliert zu betrachten. Sie reiht sich ein in eine Kette von Siedlungsstellen, deren nächste bei Aßlar im Dilltal bekannt ist. Weitere bandkeramische Fundstellen schließen sich nach Osten lahnaufwärts bei Waldgirmes, Atzbach und Heuchelheim an. Meist sind es ganz ähnliche topografische Lagen, die bevorzugt werden. In Verbindung mit den geringen Distanzen der Fundplätze untereinander lässt sich die systematische Aufsiedlung des Lahntales in jener Zeit erkennen. Dass dem neu entdeckten Fundplatz bei Dalheim im bandkeramischen Siedlungsgefüge eine besondere Bedeutung zugekommen sein dürfte, legen seine Ausdehnung sowie die Umwehrung nahe. Der Bau eines Erdwerks dieser Größe mit einem 2-3m breiten und geschätzten 700-1000m langen Grabenverlauf stellt eine beachtliche Gemeinschaftsleistung dar, die eine erhebliche logistische und soziale Organisation voraussetzt. Mit dem Fundplatz Dalheim greifen wir an der mittleren Lahn ein neuen Besiedlungsschwerpunkt, der helfen könnte, die Lücke im bandkeramischen Besiedlungsbild zwischen Nordhessen und der Wetterau zu schließen.
Dem unermüdlichen Einsatz ehreamtlicher Denkmalpfleger sowie modernen archäologischen Untersuchungsmethoden ist es zu verdanken, dass eine lange vernachlässigte Altsiedellandschaft nunmehr Schritt für Schritt ihre älteste Geschichte preisgibt.
Literatur:
- A. Schäfer, Eine Altsiedellandschaft gibt ihr Geheimnis preis. Die Entdeckung einer bandkeramischen Siedlung mit Erdwerk im Lahntal bei Wetzlar. Hessen Archäologie 2002 (2003), 33-36.
- A. Schäfer, Produktionsstandort Wetzlar-Dalheim. 2000 Jahre Eisengewinnung am Ostrand des Rheinischen Schiefergebirges. Berichte der Kommission für archäologische Landesforschung in Hessen 7, 2002/2003, 194-207.
- H.-P. Wotzka, Ein Erdwerk der späten Bandkeramik in Usingen. HessenArchäologie 2001, 38-41.
- M. Posselt, Bandkeramik - Geomagnetik - Landschaftsarchäologie. Die Magnetometer-Prospektion der bandkeramischen Siedlung Butzbach-Fauerbach v. d. H., "Gerhardsköppel", Wetteraukreis. Berichte der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen 6, 2000/2001, 41-52.
- J. Kneipp, Die frühesten Bauern im Lahn-Dill-Gebiet. Erkenntnisse zur heimischen Jungsteinzeit am Beispiel des bandkeramischen Siedlungsplatzes von Lahnau-Waldgirmes (Wetzlar 1998).
- J. Kneipp, Bandkeramik zwischen Rhein, Weser und Main. Studien zu Stil und Chronologie der Keramik. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 47 (Bonn 1998).
- H. Janke, Vorgeschichte des Kreises Wetzlar. Das Neolithikum. Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins 2 (Wetzlar 1973).