Wissenschaftliche Karriere – trotz Beeinträchtigung
Etwa acht Prozent der Studierenden in Deutschland haben laut einer Studie des Deutschen Studentenwerks eine Behinderung oder eine chronische Krankheit. „Alle Studierenden und Lehrenden, also auch und gerade Menschen ohne Behinderung, können von der Lebenserfahrung, dem Durchhaltevermögen, der sensiblen Weltsicht und dem Mut der von Behinderung betroffenen Studierenden lernen“, ist sich Prof. Dr. Jörg Wolstein sicher, Beauftragter für Studierende mit Beeinträchtigung an der Universität Bamberg. Als Beispiel nennt er einen blinden Studenten, der mittlerweile zur Promotion nach Irland gewechselt ist, und sich immer mit der für ihn typischen Leichtigkeit verabschiedete: „Man sieht sich.“
Diese Anekdote erzählte Jörg Wolstein beim Festakt am 5. Dezember 2018 in der AULA der Universität Bamberg. Dort wurde die Kooperation zwischen der Universität und dem Hildegardis-Verein im Rahmen des Fachkollegs Inklusion an Hochschulen – gendergerecht eröffnet. Festrednerin war die von Geburt an blinde Sportlerin Verena Bentele, die nun VdK-Präsidentin ist. Im Sport und im Studium ist ihr wichtig: „Mit der passenden Unterstützung können Menschen mit und ohne Behinderungen viel erreichen.“ Die eigenen Fähigkeiten zu kennen, ist für die zwölffache Paralympics-Siegerin entscheidend, um eine Goldmedaille zu gewinnen oder um einen Abschluss zu machen.
Vielfalt an der Universität Bamberg
„Wir gehen davon aus, dass an einer Einrichtung in der Größe der Universität Bamberg etwa 1000 Studierende mit Behinderung oder chronischen Krankheiten eingeschrieben sind“, so Jörg Wolstein. Die Zahlen steigen, seit die UN-Behindertenrechtskonvention 2008 in Kraft trat und 2009 in Deutschland ratifiziert wurde. Dadurch wurden deutschlandweit strukturelle und formale Hürden abgebaut. Außerdem gelingt immer mehr Menschen mit Behinderung ein Zugang zur Hochschule, weil Inklusion in Schulen zunimmt. Ebenfalls im Wintersemester 2008/2009 hat die Universität Bamberg die Kontaktstelle Studium und Behinderung eingerichtet, die ihr Jubiläum bei dem Festakt in der AULA feierte.
„Wir möchten die Neugier und Kreativität aller Universitätsangehörigen fördern – und das bedeutet immer auch Vielfalt“, sagt Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert. „Deshalb ist Inklusion der gesamten Universitätsleitung ein beständiges Anliegen.“ Seit diesem Jahr beteiligen sich die Kontaktstelle Studium und Behinderung sowie das Frauenbüro am Fachkolleg Inklusion an Hochschulen – gendergerecht des Hildegardis-Vereins, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
Inklusion, Gender und Hochschule verbinden
Der Hildegardis-Verein e.V., Bonn, fördert seit mehr als 110 Jahren Frauen auf ihrem Weg zur akademischen Qualifizierung und Berufstätigkeit. Vor elf Jahren führte der Verein eine deutschlandweite Machbarkeitsstudie durch, die unter anderem nachwies, dass weibliche Studierende mit Beeinträchtigungen einen höheren individuellen Beratungsbedarf und erschwerte Studiums- und Berufseinstiegsvoraussetzungen haben.
An dieser Stelle setzt das Fachkolleg Inklusion an Hochschulen – gendergerecht an, wie die Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins, Birgit Mock, schildert: „Unser Fachkolleg hat die Besonderheit, dass es die Handlungsfelder Inklusion, Gender und Hochschule zusammendenkt und allen die Chance gibt, in diesem System die eigenen Kompetenzen und Stärken zu entfalten. Damit werden wir Wegbereiter sozialer Innovationen. Die Universität Bamberg wirkt mit Erfolg daran mit.“ Die Universität hatte sich erfolgreich um einen von fünf Modellstandortplätzen beworben und wird nun mehrere Maßnahmen umsetzen, darunter Bewerbungstrainings, Workshops und eine Vortragsreihe zum Thema Inklusion an der Universität. Besonderes Augenmerk liegt auf dem neuen Förderprogramm MIT, das die Kontaktstelle in Zusammenarbeit mit dem Büro der Frauenbeauftragten durchführen will.
Wissenschaftliche Karriere trotz Beeinträchtigung
MIT steht für: Mentoring- und Informationsprogramm für eine aktive Teilhabe von behinderten und chronisch kranken Studentinnen und Doktorandinnen. Es richtet sich an beeinträchtigte Studentinnen, die eine Promotion anstreben, und an Nachwuchswissenschaftlerinnen. „Wir möchten diese Frauen an der Schwelle zu einer wissenschaftlichen Karriere bestärken und unterstützen“, sagt Jörg Wolstein, der das Projekt leitet.
Jede der insgesamt zehn Teilnehmerinnen wird für 18 Monate von einer Mentorin oder einem Mentor begleitet, um sie in die deutsche Hochschullandschaft einzuführen, beispielsweise durch Vernetzung mit Fachkolleginnen und -kollegen. Informationsveranstaltungen, etwa zu den Themen Nachteilsausgleich und wissenschaftliches Arbeiten, ergänzen das Angebot. Außerdem tauschen sich die Teilnehmerinnen untereinander aus. „Diese Unterstützung hätte ich mir als Studentin auch gewünscht“, meint Verena Bentele. „Denn es ist so wichtig, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und Hilfe von Mentoren zu bekommen.“