Es war einmal… märchenhafte Informatik
„Ein Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen, der ihn Hunger leiden ließ. Wie er's nicht länger bei ihm aushalten konnte, ging er ganz traurig fort.“ Mit diesen Worten beginnt das Märchen „Der Hund und der Sperling“. Es ist das düsterste und unheimlichste Märchen der Gebrüder Grimm – sagt Dirk Reinel, Doktorand der Informatik an der Universität Bamberg und der Hochschule Hof. Er muss es wissen, schließlich hat er den Stimmungsverlauf von Märchen mit Hilfe informatischer Methoden analysiert.
Der Informatikdoktorand Dirk Reinel hat beruflich mit Märchen zu tun: Er beschäftigt sich im Rahmen seines Promotionsprojektes, das von der Universität Bamberg und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hof in Kooperation betreut wird, mit der Analyse literarischer Texte mittels der Methode des Opinion Mining. Darunter versteht man die automatisierte Auswertung von Texten mit dem Ziel, eine geäußerte Haltung als positiv oder negativ zu erkennen. Am Beispiel der Märchen der Gebrüder Grimm untersucht Reinel die Emotionen, die in den Texten angesprochen werden. Indem er Basisemotionen wie „Liebe“ und „Freundschaft“ als positiv und solche wie „Hass“ oder „Angst“ als negativ definiert, entsteht laut Reinel „eine Landkarte der Storyline, die den Stimmungsverlauf eines Werkes wiederspiegelt“. Der ermittelte Stimmungsverlauf zeigt, ob ein Text insgesamt als positiv oder als besonders negativ, unheimlich und düster erscheint.
Literaturwissenschaft trifft Informatik
Dieses quantitative automatisierte Verfahren ist unter anderem für die Literaturwissenschaft interessant, um beispielsweise übersetzte Texte mit den Originalfassungen vergleichen zu können: Beide Texte, Übersetzung und Vorlage, sollen im Idealfall denselben Stimmungsverlauf aufweisen.
Ein Reclam-Büchlein gar nicht mehr selber lesen, sondern gleich den Computer ausrechnen lassen, auf welchen Seiten sich der Konflikt verdichtet und wo es besonders dramatisch zugeht? Reinel lacht. „So weit wird es nicht kommen.“ Viel zu kompliziert und zeitaufwändig sei die Programmierung, die der Analyse durch das Opinion Mining vorausgehe. Da könne man das Buch auch gleich selber lesen, denn: Für jede Fragestellung müssten eigene Klassifizierungen vorgenommen und Stellschrauben bedacht werden.
Zumindest für die Märchen der Gebrüder Grimm kommt Reinel dank seiner informatischen Analyse zu einem überraschenden Urteil. „Das düsterste und unheimlichste Märchen ist nicht, wie man meinen könnte, Der Gevatter Tod, sondern der so harmlos klingende Titel Der Hund und der Sperling.“ Der kleine Sperling sorgt darin für den Tod aller auftretenden Figuren.
Von der Märchenanalyse in die Wirtschaft
Für das Promotionsprojekt von Reinel sieht sein Bamberger Betreuer Prof. Dr. Andreas Henrich, Inhaber des Lehrstuhls für Medieninformatik, auch zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für die Wirtschaft. So kann man mit dem Opinion Mining Produktrezensionen auswerten, die Kundinnen und Kunden in Blogs und Foren zu erstandenen Artikel abgeben. Manuell sei diese Informationsflut oft nicht zu bewältigen – meist gebe es viel zu viele Rezensionen für ein Produkt, um den Überblick zu behalten.
Parallel zu seinem Promotionsprojekt, in welchem er die Märchentexte untersucht, testet Reinel bereits die Praxistauglichkeit seiner Forschung, indem er sich mit solchen Produktrezensionen beschäftigt: Er erstellt Korrelationen, die auf den Überschriften der Kundenrezensionen beim Onlinehändler Amazon basieren und aus den entsprechenden Bewertungen, die man anhand der vergebenen Sterne ablesen kann. Das Besondere daran: Reinel liest nicht nur einzelne Wörter aus, sondern ganze Wortgruppen.
Bisher haben ähnliche Projekte immer nur einzelne Wörter untersucht. Das Problem dabei: Worte sind oft mehrdeutig. Beispielsweise ist das Adjektiv „klein“ in solchen Rezensionen an sich mehrdeutig – die positive Wertung ergibt sich erst in der Kombination: „klein aber oho“. Das Substantiv „Finger“ ist zunächst völlig wertfrei, als „Finger weg!“ dagegen eine dringende Warnung. Reinels Promotionsprojekt kommt an: Demnächst unternimmt er für eine Versicherungsagentur die Analyse der Kundenrezensionen.
Märchenhafte Kooperation
Auch Reinels Doktorväter sind überzeugt: „Wir können viel genauere Aussagen treffen, indem ganze Wortbeziehungen und Wortgruppen betrachtet werden“, erklärt Henrich. Zusammen mit Prof. Dr. Jörg Scheidt von der Hochschule Hof, Institut für Informationssysteme, betreut er die Arbeit von Reinel, der aktuell eine Liste mit rund 14.000 solcher Wortkombinationen erstellt hat.
Diese Kooperation ist bemerkenswert, denn Hochschulen haben eigentlich kein Promotionsrecht. Doch durch die Kooperation mit der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik, kurz WIAI, an der Universität Bamberg ist es dennoch möglich. Reinel promoviert also an der Universität Bamberg und ist zugleich Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Hof. Dabei profitiert er durch die doppelte Betreuung und das Know-How, das beide Seiten einbringen: Opinion Mining ist ein Schwerpunkt in Hof, die Suchmaschinentechnologie, notwendig für das Auswerten digitaler Daten wie eben solcher Blogs und Foren, wird dagegen in Bamberg erforscht.
Die TechnologieAllianzOberfranken macht‘s möglich
Das Angebot zur Promotion kam für den Literaturfreund Reinel ganz überraschend. Als er gerade an seinem Masterprojekt in Hof arbeitete, kamen der Anruf und das Angebot von Scheidt. „Ohne die TechnologieAllianzOberfranken würde ich heute nicht promovieren“, betont Reinel. TAO, wie die Kooperation zwischen den zwei oberfränkischen Universitäten Bamberg und Bayreuth sowie den Hochschulen Hof und Coburg kurz genannt wird, vereinfacht solche übergreifenden Kooperationen deutlich. TAO setzt sich zum Ziel, Lehre und Forschung aller beteiligten Institutionen zu vernetzen, Forschungs- und Entwicklungsprojekte gemeinsam zu stemmen und den Transfer von Wissenschaft und Wirtschaft zu intensivieren. Kooperativ betreute Promotionsverfahren gehören ebenfalls zur erklärten Zielsetzung von TAO.
„Die TechnologieAllianzOberfranken ist ein gutes Dach für solch kooperativ betreute Promotionsverfahren“, davon ist Prof. Dr. Guido Wirtz, Vizepräsident der Otto-Friedrich-Universität Bamberg für Technologie und Innovation und Bamberger Koordinator von TAO, überzeugt. Die Stärken beider Hochschultypen könnten gewinnbringend vereinigt werden: „Die Universität gilt Vielen immer noch als praxisferner Elfenbeinturm, den Hochschulen dagegen trauen Viele keine wissenschaftliche Forschung zu – in der Kooperation können wir zeigen, dass beide Vorurteile falsch sind und dass durch die Kombination die Stärken beider Hochschultypen noch erfolgreicher für die Region Oberfranken genutzt werden können“, sagt Wirtz.
Finanziert wurde TAO aus dem Demographieprogramm der bayerischen Staatsregierung mit dem Ziel, die mittelgroßen und kleinen Hochschulen in Oberfranken durch ihre Vernetzung schlagfähiger zu machen und Fachkräfte in der Region zu halten und neue Fachkräfte für die Region zu gewinnen. Besonders bemerkenswert: Es handelt sich nicht um eine kurzfristige Aktion, sondern an allen beteiligten Universitäten und Hochschulen wurden dauerhafte Stellen eingerichtet. „In Bamberg sind das aktuell drei Lehrstühle und eine Juniorprofessur, jeweils mit mehreren Mitarbeiterstellen und Sekretariat“, erklärt Wirtz.
Schon jetzt erweist sich TAO als großer Erfolg. „Die kooperativen Promotionsverfahren laufen seit drei Jahren und ein übergreifendes Modulstudium zwischen Bamberg und Coburg wird immer besser ausgebaut.“ Als Wirtz 2002 nach Bamberg kam, gab es ‚nur‘ vier Professuren, die sich mit Informatikthemen beschäftigten. Heute sind es 15 – und die drei neuesten davon durch TAO. Klingt märchenhaft.
TechnologieAllianzOberfranken
In der TechnologieAllianzOberfranken (TAO) arbeiten die vier oberfränkischen Hochschulen, die Universitäten Bamberg und Bayreuth sowie die Hochschulen für angewandte Wissenschaften Coburg und Hof zusammen. Ihr Ziel ist es, Oberfranken als Wissenschaftsstandort weiter auszubauen. Die Schwerpunkte der Kooperation liegen in den Bereichen Energie und Mobilität. Hier sichert TAO den Transfer von aktuellen Forschungsergebnissen in die regionale Wirtschaft, unterstützt die Unternehmen bei der Lösung technologischer Herausforderungen, berät im Hinblick auf die Forschungsförderung und entwickelt spezifische Angebote zur Weiterbildung. Im Bereich des Studiums stehen die Entwicklung hochschulübergreifender Lehr- und Studienangebote sowie kooperative Promotionen im Vordergrund. TAO wird vom Freistaat Bayern gefördert.
Ansprechpartner für Rückfragen zum Projekt:
Prof. Dr. Andreas Henrich
Lehrstuhl für Medieninformatik
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
An der Weberei 5
96047 Bamberg
Telefon: +49- 951- 863-2850
+49- 951- 863-2851 (Sekretariat)
E-Mail: andreas.henrich(at)uni-bamberg.de
Hinweis
Diesen Text verfasste Kathrin Wimmer für die Pressestelle der Universität Bamberg. Der Text kann für redaktionelle Zwecke verwendet werden.
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