Nicht von schlechten Eltern
Quer durch die bundesdeutsche Presselandschaft war Ende Juli von den Ergebnissen der Bamberger Studie zu lesen, die sich vornehmlich dem Zusammenhang von Elternschaft in homosexuellen Beziehungen und der gegenwärtigen Gesetzeslage widmet. Obwohl das Datum ein klassisches Sommerlochtheater vermuten lässt, zeigte sich in den Reaktionen von Vertretern der Presse und Lobbygruppen deutlich der kontroverse Charakter des Themas. Ein Grund der Aufregung, gerade unter Gegnern und Kritikern der Studie, dürfte deren hoher Repräsentativitätsgrad und wissenschaftliche Belastbarkeit sein.
Forschung auf internationalem Spitzenniveau
Mit „Familie ist dort, wo Kinder sind“ fasste Bundesjustizministerin Brigitte Zypries auf der Pressekonferenz ihres Hauses pragmatisch und knapp die Ergebnisse einer höchst umfangreichen Studie zusammen, die seit Oktober 2006 am ifb Bamberg konzipiert und unter Mitarbeit des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München durchgeführt worden war. Rund 13.000 Paare, die in sogenannten „Eingetragenen Lebenspartnerschaften“ (LP) zusammenleben, wurden bundesweit auf verschiedenen Wegen kontaktiert, 1059 Telefoninterviews mit Elternpaaren geführt und flankierend dazu eine Teilstudie, bestehend aus Einzelinterviews mit 123 Kindern dieser Familien, angelegt. Die Repräsentativität erreicht bei Eingetragenen Lebenspartnerschaften damit 32 Prozent, für die Kinder-Einzelstudie 5 Prozent, wobei wissenschaftlich in der Regel bei 1-Prozent-Stichproben von Repräsentativität ausgegangen wird.
Im europäischen und weltweiten Vergleich behauptet die Bamberger Studie damit einen absoluten Spitzenplatz in der einschlägigen Forschung, die bisher weitgehend von Arbeiten aus den USA dominiert wurde. Im speziellen Fokus der Wissenschaftler lagen erstmals auch die Auswirkungen des Lebenspartnerschaftsgesetzes auf die sogenannten „Regenbogenfamilien“, womit untersucht werden sollte, in wieweit eine Novellierung der Gesetzeslage erforderlich ist.
Fakten statt Vorurteile
„Insgesamt unterscheiden sich Kinder und Jugendliche aus gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in ihrer Entwicklung nur wenig von Kindern und Jugendlichen, die in anderen Familienformen aufwachsen.“ So das Fazit der stellvertretenden Leiterin des ifb, Dr. Marina Rupp, die auch maßgeblich für die Studie verantwortlich ist. Wirkliche Überraschungen gab es laut Rupp dabei kaum – im Wesentlichen würden die neuen Daten die Ergebnisse früherer, allerdings weniger repräsentativer Forschungen bekräftigen. So wurde etwa hinsichtlich der frühkindlichen Entwicklung festgestellt, dass Kinder aus Regenbogenfamilien ein höheres Selbstwertgefühl an den Tag legen und autonomer in ihrer Beziehung zu beiden Elternteilen agieren als Kinder mit anderen Familienhintergründen. Keine gravierenden Unterschiede ergaben sich hinsichtlich emotionaler Unsicherheiten und psychologischer Entwicklung der Kinder. Als Vergleichswert wurden jeweils Daten aus Kernfamilien, Stiefvaterfamilien und Mutterfamilien hinzugezogen, die in Bezug auf Geschlechtsverteilung und Altersstruktur eine sichere Vergleichsbasis boten.
„Letztendlich“, so Rupp, „ist die individuelle Biographie der Kinder und ihre Familieneinbindung weitaus entscheidender als die Tatsache, dass die Familie aus zwei Vätern oder zwei Müttern besteht.“ Die Risikofaktoren, die das spätere Bindungsverhalten und die Bewältigung bestimmter Entwicklungsaufgaben negativ beeinflussen würden, seien im Wesentlichen identisch mit denen in anderen Familien. Dazu zählen familiäre Instabilität, hohes Konfliktniveau und Koalitionsdruck, bedingt durch häufige familiäre Übergänge und wechselnde Bezugspersonen im Zusammenhang mit dem Auseinanderbrechen der „Ursprungsfamilie“. Rund 44 Prozent der befragten Kinder entstammen solchen früheren Beziehungen, etwa die Hälfte der Kinder wurde dagegen in die gegenwärtige Familie hineingeboren. Pflegekinder sind lediglich mit 6 Prozent und Adoptivkinder nur mit 1,9 Prozent vertreten.
Nicht nur zu den Kindern selbst, auch hinsichtlich der Eltern bietet die Studie aussagekräftige Informationen. In den Interviews mit den Regenbogeneltern ließ sich ein deutliches Mehr an partnerschaftlichem Austausch über den gemeinsamen Nachwuchs feststellen, als dies in Vergleichsfamilien der Fall war. Wie im Vorfeld der Studie bereits vermutet worden war, nimmt die Anzahl der Kinder aus früheren Beziehungen in Regenbogenfamilien stetig ab, während sich stattdessen ein Trend zu „gemeinsamen“ Kindern abzeichnet, dem eine bewusste Entscheidung beziehungsweise ein konkreter Kinderwunsch zugrunde liegt. Dies konnte durch die Studie bekräftigt werden, und laut Rupp bestätige dies eine zunehmende Institutionalisierung der erst 2001 eingeführten „Eingetragenen Lebenspartnerschaft“ und zeige deutlich, dass diese Möglichkeit zunehmend als Basis der eigenen Familien- und Lebensplanung in Anspruch genommen werde. Wenig überraschend war die Einsicht, dass Regenbogenfamilien zum allergrößten Teil Frauensache sind – der Anteil der lesbischen Paare liegt bei 93 Prozent.
Ein langer Weg zu verlässlichen Daten
Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu Vorgängerstudien sei die äußerst hohe Repräsentativität sowie ein Geltungsanspruch, der das ganze Bundesgebiet abdecke, erklärte die stellvertretende Institutsleiterin. „Die Forschungslandschaft in Deutschland ist bisher gekennzeichnet von einzelnen Studien mit wesentlich kleineren Stichproben. Oft ist die Aussagekraft dieser Untersuchungen auch durch einen regionalen Schwerpunkt beeinträchtigt.“ Natürlich könne dies keine Grundlage einer möglichen Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes sein, in dessen Rahmen derzeit bundesweit rund 13.000 homosexuelle Paare leben. Ziel war damit von vornherein eine möglichst hundert prozentige Erfassung dieser Paare. Der Weg zu ihnen führte über die Meldeämter der einzelnen Bundesländer, bei denen zunächst eine „Adressüberlassung“ beantragt wurde. Da die letzte Entscheidung bei dem jeweiligen Datenschutzbeauftragten lag, musste in der Hälfte der Länder stattdessen auf ein „Adressermittlungsverfahren“ zurückgegriffen werden. „Die Meldeämter übersandten dabei Informationen zur Studie und unsere Kontaktdaten an die Zielpersonen, die sich über ein beigelegtes Kärtchen, per E-mail oder über eine eigens eingerichtete Internetplattform melden konnten“, erklärt Rupp. Durch zusätzliche Aufrufe in verschiedenen Medien und einschlägigen Plattformen kann von einer hundert prozentigen Benachrichtigung der einschlägigen Personenkreise ausgegangen werden.
Zwar wurden auch vereinzelt nicht-verpartnerte Lebensgemeinschaften aufgenommen, deren Anteil rechtfertige aber keinen Anspruch auf Repräsentativität für diese Zielgruppe, wie die Leiterin der Studie betont. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme zu den nicht-verpartnerten Lebensgemeinschaften, vor allem aber, da Auswirkungen der gegenwärtigen Gesetzeslage bei LP im Vordergrund des Auftraggebers standen, stützten sich die Telefoninterviews weitestgehend auf „gemeldete“ Partnerschaften. Nur 193 der 1059 interviewten Elternteile waren zum Zeitpunkt der Befragung „unverpartnert“. Auf der Basis bisher erhobener Daten kann bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften von einer Familienquote zwischen 7 und 15 Prozent ausgegangen werden. Wenn man die Familien mit zwei Kindern einrechnet, was bei einem Drittel aller Familien zutrifft, ließe sich so auf etwa 2200 Kinder in eingetragenen Lebenspartnerschaften schließen.
"Stille Revolution"
Erste Reaktionen auf die Studie ließen sich nicht lange auf sich warten. Schon am Tag der Veröffentlichung hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vor dem Hintergrund der neuen Studie die Ausweitung der Rechte gleichgeschlechtlicher Paare, explizit ein gemeinsames Adoptionsrecht, eingefordert. „Die Untersuchung hat bestätigt: Dort, wo Kinder geliebt werden, wachsen sie auch gut auf. Entscheidend ist eine gute Beziehung zwischen Kind und Eltern und nicht deren sexuelle Orientierung. Wir sollten daher nicht auf halbem Wege stehen bleiben und jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gemeinsame Adoption durch Lebenspartner schaffen“, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 23. Juli. Gerade die rechtliche Unsicherheit sei ein Risikofaktor für die kindliche Entwicklung, der ausgeschaltet werden müsse, so die Bundesministerin.
Mitte August folgte darauf zunächst der Rückzug eines Normenkontrollantrags des Landes Bayerns gegen die Möglichkeit der Stiefkindadoption im Rahmen des Lebenspatnerschaftsüberarbeitungsgesetzes. Wie die Süddeutsche Zeitung am 9. August in ihrer Internet-Ausgabe berichtete, hatte Prof. Dr. Matthias Jestaedt, der Bevollmächtigte des Landes Bayern am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, bereits mit Schriftsatz vom 8. Juli 2009 die Klage zurückgezogen. Sowohl die Süddeutsche wie auch die Berliner Tageszeitung TAZ vermuten hinter dem Rückzug dennoch eine direkte Reaktion auf die Bamberger Studie, die die Bundesverfassungsrichter mit „gewogenem Interesse“ (TAZ vom 11. August) aufgenommen und damit den Antragsstellern indirekt nur geringe Chancen auf zukünftigen Erfolg ihres Ansinnens eingeräumt hätten. Der Antrag war bereits vor Zustandekommen der derzeitigen schwarz-gelben Koalition in Bayern eingebracht worden.
Von einer „Stillen Revolution“ der Brigitte Zypries schrieb daraufhin der Bayernkurier am 1. August und unterstellte der Bundesjustizministerin nichts weniger als eine schrittweise Aushöhlung der Verfassung, sollte sie ihre Pläne verwirklichen können. „Aktuell fordern die Experten, dass mehr Männer als Erzieher in Kindergärten arbeiten. Der Grund: Kinder brauchen männliche und weibliche Bezugspersonen – so die gesicherte Erkenntnis der Fachleute“, lautet das Hauptargument des CSU-Parteiblattes. Einen „Kampf gegen das Kinderwohl“ warf dagegen die TAZ vom 11. August den konservativen Kräften vor, die auch nach den neuen Erkenntnissen die Verrechtlichung der Regenbogenfamilien weiter behindern würden. Doch auch innerhalb der konservativen Riegen regt sich Unterstützung für die Regenbogenfamilien. „Die Äußerungen einiger Parteifreunde sind ‚ärgerlich‘“, äußerte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende der „Lesben- und Schwulen Union“ (LSU) Björn Beck einen Tag nach Veröffentlichung der Studie gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Neben dem medialen Echo landeten einige Antworten auch direkt im Briefkasten des ifb, wobei das Spektrum von zustimmenden und freudigen Briefen bis hin zu verunglimpfenden, direkten Angriffen reichte. Höhepunkte der Anfeindungen waren ein offener Brief an die Bundesjustizministerin und eine weitere Zuschrift, die aufgrund ihres Lesben und Schwule diskriminierenden Inhalts mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft anhängig sei, so Rupp.
Forschung für die europäische Familie
Trotz eindeutiger empirischer Befunde scheint das Thema also noch lang nicht vom Tisch, auch beim ifb nicht. „Unsere Forschung zum Thema gleichgeschlechtliche Partnerschaft geht weiter“, bestätigt Rupp auf Nachfrage. „Wir haben im Rahmen der bisherigen Studie keine Paare mit Kindern außerhalb des Haushalts untersuchen können. Außerdem möchten wir homosexuelle Paare beziehungsweise Personen zu ihrem Kinderwunsch befragen, wofür im Herbst ein Projekt in Kooperation mit der Uni Aachen beginnt. Diese Erhebungen werden zum Teil über eine Internetplattform, zum Teil durch Studierende in Seminaren durchgeführt werden.“ Abgesehen davon wird das 1993 gegründete ifb ab 1. Oktober an einem EU-Projekt zur Familienpolitik teilnehmen. Zusammen mit neun Instituten aus acht Ländern wird es darum gehen, eine Plattform für Familienforschung und Familienpolitik zu entwickeln, die zukunftsweisende Forschung in der europäischen Familienpolitik ermöglichen soll. „Wir haben noch einiges zu tun“, freut sich die stellvertretene Institutsleiterin.