Stadtgeschichte wird neu geschrieben
Ein Werkstattgespräch im Stadtarchiv gab Einblicke in das Wissenschaftsprojekt "Geschichte der Stadt Bamberg". Das Ergebnis soll 2016 als dreibändiges Werk veröffentlicht werden.
Rechnungen des Bamberger Waisenhauses von 1600 bis 1800 - es sind ganze Bündel alter Akten, die Kathrin Arns und Sven Schmidt im Stadtarchiv Bamberg auszuwerten haben. Die beiden Absolventen der Bamberger Geschichtswissenschaft arbeiten in einem Forschungsprojekt, das die Einnahmen und Ausgaben der Fürsorgeeinrichtung in einer Datenbank erfassen soll.
"Das Waisenhaus hatte ganz viele Beziehungen in die Stadt und das Hochstift Bamberg. Es vermittelte etwa seine älteren Kinder in Lehren, verlieh Geld, kaufte Dinge des täglichen Lebens und beschäftigte Handwerker", erklären Arns und Schmidt. Aus den Rechnungen ließe sich deshalb eine Menge an Informationen über die damaligen Verhältnisse gewinnen.
Damit ist die Arbeit der beiden ein wichtiger Mosaikstein in der Forschung für die geplante neue Bamberger Stadtgeschichte. Sie wird unter der Federführung des Stadtarchivs Bamberg und des Lehrstuhls für Neuere Geschichte der Uni Bamberg erarbeitet und soll im Jahr 2016 voraussichtlich in drei Bänden erscheinen. Um den Bamberger Bürgern Einblick zu gewähren, sich auszutauschen und Anregungen einzuholen, wollen die Beteiligten regelmäßig Werkstattgespräche veranstalten. Am Samstag fand im Stadtarchiv das zweite dieser Kolloquien statt.
Robert Zink, Leiter des Stadtarchivs, erläuterte die Rahmenbedingungen des Projekts: "Wir haben die Arbeit an der Stadtgeschichte in vier Stufen unterteilt." Ein erster Schritt ist es, in den nächsten zwei Jahren Strukturen zu schaffen, die aus einer Projektleitung, einem Wissenschaftlichen Beirat und einem Kuratorium bestehen. Die Stufe zwei läuft bereits seit 2008 und umfasst die verschiedenen Forschungen, zum Beispiel die Auswertung der Waisenhausrechnungen. Spätestens 2014 soll dieser Abschnitt abgeschlossen sein. Im selben Jahr wird mit Stufe 3, der Anfertigung der eigentlichen Texte für die Bände der Stadtgeschichte, begonnen. Die abschließende Stufe 4, Druck und Vertrieb, ist für das Jahr 2016 vorgesehen.
Dieser Zeitplan steht und fällt allerdings mit der Finanzierung. Zink hat für die ersten drei Stufen insgesamt eine Summe von 400 000 Euro veranschlagt. Ein Drittel soll die Stadt Bamberg beisteuern, ein weiteres Drittel durch öffentliche Zuschüsse, zum Beispiel von der Oberfrankenstiftung, gedeckt werden. Für das letzte Drittel bauen die Wissenschaftler auf private Spenden, etwa durch Stiftungen, Privatpersonen oder Vereine.
Staatssekretärin und Stadträtin Melanie Huml kündigte in ihrem Grußwort an, bei der Einwerbung von Landesmitteln, etwa aus dem Kulturfonds Bayern, mitzuhelfen. Zur Frage der städtischen Mittel konnte Bürgermeister und Kulturreferent Werner Hipelius über die bereits geflossenen Gelder hinaus noch keine definitiven Zusagen machen. "Bei der derzeitigen Finanzsituation ist eine strenge Auswahl der Ziele vonnöten", sagte er in seiner Begrüßung.
Nichtsdestotrotz stände die Stadt hinter dem Projekt. "Der Vergangenheit keine Beachtung zu schenken, wäre bei einer Stadt wie Bamberg schon ein Sakrileg."
Historisches Gedächtnis
Der Frage, warum Bamberg für eine solche Geschichte überhaupt Geld ausgeben sollte, stellte sich Mark Häberlein, Professor für Neuere Geschichte an der Otto-Friedrich-Universität: "Natürlich ist der Nutzen für die Allgemeinheit nicht so einsichtig wie bei Brücken und Erlebnisparks." Jedoch sei die Erarbeitung einer modernen, wissenschaftlichen Stadtgeschichte keine Übung im akademischen Elfenbeinturm, sondern diene dem historischen Gedächtnis Bambergs. "Wir wollen die Vergangenheit in ihrer Vielfalt darstellen. Die Geschichte des Ratsherrn genauso wie des Tagelöhners, die der katholischen Kirche wie die der religiösen Minderheiten, der Männer wie der Frauen." Die Stadtgeschichte werde in einer Sprache verfasst werden, die dem interessierten Laien einen Zugang zu dieser vielfältigen Vergangenheit ermögliche.
Beispiele für die aktuellen Bezüge historischer Forschung gibt es auch beim Bamberger Waisenhaus. "Etwa die soziale Vererbung von Armut", sagt Kathrin Arns, die sich in ihrer Diplomarbeit intensiv mit der Geschichte der Institution auseinandergesetzt hat. Im Kolloquium stellten zudem zwei Wissenschaftler Arbeiten vor, die mit der Landesgartenschau 2012 verbunden sind. Hans-Jörg Künast berichtete, was er über die Bevölkerung, Besitzverhältnisse und Landschaftsentwicklung im Gebiet des Klosters St. Michael im 18. und 19. Jahrhundert herausgefunden hat.
Hubertus Habel aus Coburg hat einige der Legenden über die Bamberger Gärtner und Häcker anhand von archivalischen Quellen überprüft. Insbesondere konnte er die Bedeutung der Bamberger beim Zwiebel- und Rübsamenexport mit exakten Mengenangaben nachweisen. "Die Lieferungen gingen bis in die Niederlande und auch nach London." Es deute sich an, dass die Bamberger Gärtner mit ihren Samen Entwicklungshilfe beim Aufbau des niederländischen Gärtnerwesens geleistet haben. Habels Forschungen dienen der Neukonzeption des Gärtner- und Häckermuseums in der Mittelstraße nach modernen Standards.
Weitere Gespräche folgen
In zwei weiteren Vorträgen informierte Claudia Esch über "Handlungsspielräume im mittelalterlichen Bamberg" und Johanna Konrad-Brey präsentierte das Datenbankprojekt "Der Bamberger Stadtrat im Nachkriegs-Bamberg".
Nicht wenige Bamberger Bürger nutzten die Möglichkeit, im Laufe des Tages einmal in das Kolloquium hineinzuschnuppern. Mancher hätte sich gewünscht, dass einige der Vorträge besser verständlich gewesen wären. Der Grundtenor der Besucher lautete aber, es sei gut und wichtig für Bamberg, eine neue Stadtgeschichte zu bekommen. Weitere Werkstattgespräche werden sicher folgen. Vielleicht können dann Kathrin Arns und Sven Schmidt schon erste Forschungsergebnisse über die Waisenhaus-Rechnungen vorstellen.