Die alltägliche Ordnung wird gestört
Für die Literaturinteressierten, die regelmäßig die Veranstaltungen der Reihe „Literatur in der Universität“ besuchen, war Annette Pehnt kein unbekannter Gast. Bereits 2007 hatte sie die Einladung des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft angenommen und aus ihrem Roman „Das Haus der Schildkröten“ gelesen. Prof. Dr. Friedhelm Marx erinnerte sich: „Damals sind aufgrund des Orkans Kyrill Ziegelsteine vor den Fenstern heruntergefallen und trotzdem war es eine sehr schöne Lesung.“ Diesmal las die Autorin am 9. Dezember aus ihrem ersten Erzählband „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“, der von Normalität und Ausnahmezustand, Einsamkeit und Sehnsucht und von der alle umgebenden Wortlosigkeit handelt.
Alltag und Abgründe
„Kurz bevor sie nach Schweden wollten, platzte der Mutter das Gesicht.“ Mit diesem Satz eröffnete Annette Pehnt ihre Lesung und ließ damit gleichzeitig das Leitmotiv ihres neuen Buches erkennen: „Die Verbindung zwischen den sechs Erzählungen ist der Umstand, dass die alltägliche Ordnung gestört wird“, stellte Marx fest. Die Kinder in der Erzählung „Wie in Schweden“ schildern die Veränderungen in ihrem Leben, nachdem die Mutter für längere Zeit ins Krankenhaus muss: Sie werden in der Schule anders angeschaut, der Vater ist überfordert, sodass die Oma als Unterstützung einziehen muss, und sie fahren nicht wie jedes Jahr nach Schweden. Trotzdem versuchen die Figuren ihren Alltag in gewohnten Bahnen fortzuführen.
In der zweiten vorgelesenen Erzählung „Die Zugbegleiterin“ sehnt sich die Protagonistin nach Nähe und Geborgenheit, ist aber von Einsamkeit und Stille umgeben. In Form eines inneren Monologs macht sie sich über jeden Fahrgast Gedanken und sieht sie als Mitglieder einer großen Familie. Sie selbst jedoch wird von den Fahrgästen als störend empfunden, wenn sie die Fahrkarten kontrollieren möchte. Zudem wird sie zur Angriffsfläche für Beschwerden. Als sie plötzlich nichts mehr hören kann, sucht und findet sie Trost bei einer fremden Frau. Die Erzählung verdeutliche auch die „Abgründe der Dienstleistungen“, erklärte die Autorin. Die Figur fürchtet sich davor, von ihrem Arbeitgeber insgeheim überprüft und bewertet zu werden. Als sie nach einem Personalwechsel mit einem anderen Kontrolleur konfrontiert wird, steigt sie vorzeitig aus. Diese Kontrollmechanismen und Hierarchien stellen eine latente Bedrohung dar.
Die neue Poetikprofessorin
„Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“ beinhaltet sowohl ältere Texte, die sich über die Jahre hinweg angehäuft haben, als auch eigens für diesen Band verfasste Erzählungen, wie etwa jene über die Zugbegleiterin. „Das Motiv der aus der Bahn geworfenen Figuren findet man wie in allen meinen Büchern auch hier“, erklärte Annette Pehnt das Leitthema ihres Buches. Die Ideen dazu basieren nicht auf abstrakten Gedanken, sondern auf alltäglichen Wahrnehmungen und Erfahrungen der Autorin.
Im Sommer werden Literaturinteressierte die Gelegenheit haben mehr über das poetologische Verständnis der Autorin zu erfahren. Friedhelm Marx verkündete im Vorfeld der Lesung, dass Annette Pehnt die nächste Poetikprofessur an der Universität Bamberg übernehmen wird.