Der Günstling der Dämonen?
Der „Roman unserer Kindheit“ erzählt die Geschichte eines Freundeskreises: Gleich zu Beginn der Lesung von Georg Klein fallen die klingenden Namen der Figuren auf: Wolfskopf, der Große Bruder, Schniefer, Ami-Michi, Dr. Felsenbrecher oder die Schicke Sybille. Die Freunde erleben gemeinsam einen Sommer in den frühen 1960er Jahren: Invaliden und Neubaublöcke prägen das Bild einer Zeit, in der vor allem die Väter das Familienleben verändern – weil sie sich selbst durch ihre Kriegserlebnisse verändert haben.
Der Roman provoziert nicht nur mit ausgefallenen Witzen und scharfen Beobachtungen heiteres Gelächter. Es wird schnell deutlich, was Klein mit seinem manchmal drastischen Realismus bezweckt: „Wahrnehmungsaspekte stehen besonders im Vordergrund des Buches, da sich darüber Emotionen besser vermitteln lassen.“
Absage an die Nostalgie
Im ersten und zweiten Kapitel zieht der Erzähler die Zuhörerinnen und Zuhörer in seine Kindheit hinein: Sonnentage und Regentage – so heißen alle Kapitel des Romans abwechselnd. Dasjenige am Anfang ist mit „Sonnentag“ betitelt – der erste Ferientag jenes Sommers. Dieser Tag verläuft jedoch weniger erfreulich für die Figur des Großen Bruders, gerät dieser doch mit der Ferse in die Speichen seines Fahrrads. Sehr detailliert beschreibt der Erzähler dieser Geschichte die blutrote und fleischige Wunde, berichtet von übergroßen Schmerzen, die der Große Bruder verspürt. Aber es gibt auch Heiteres: Begebenheiten wie die unerwartete Gelegenheit der Jungs, die „weißen Pobacken“ der Schicken Sybille sehen zu können, Wolfskopfs Möglichkeit, sich ein Buch aus der Bücherverleihstelle „Tabak-Geistmann“ aussuchen zu dürfen oder der Besuch im sogenannten „Elektro-Lutscher“. Trotz dieser Erinnerungen verwehrt sich der Autor, eine Kindheitsnostalgie vorzulegen, denn die Handlung ist von der blutigen Szene gleich am Anfang, einem angekündigten Mord, einem mysteriösen Boten oder – besonders am Ende – von unheimlichen Elementen geprägt. Die Idylle hat einen doppelten Boden.
Kein „Spezialist für das Abgründige“?
Georg Klein gilt in der Literaturkritik als „Spezialist für das Abgründige“. Jene Bezeichnung haftet ihm seit seinem literarischen Debütroman „Libidissi“ von 1998 an: Ein schizophrener Agent flieht vor zwei Killern in einem Labyrinth, welches von einer dubiosen Seuche heimgesucht wurde. Thriller und phantastische Momente sind miteinander verwoben, der Autor spielt gekonnt mit Genrekonventionen. Der unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Schriftsteller berichtete hierzu, wie ihn einmal eine FAZ-Reporterin bei der Suche nach einem geeignetem Fotohintergrund im Nebel unbemerkt fotografierte und dieses Bild mit dem Titel „Der Günstling der Dämonen“ veröffentlichen ließ. Georg Klein sprach sich gegen solche Etikettierungen und Inszenierungen aus, die seinem neuen Roman kaum gerecht werden dürften.
Seine Kindheitsgeschichte kommt jedenfalls an, nicht nur beim Bamberger Publikum, das den Vorlesungssaal bis auf den letzten Platz füllte, sondern auch bei Literaturkritikern wie Ina Hartwig, die in der „Zeit“ folgende Worte findet: „Ein Geniestreich ist dieser Roman, opak, dicht, verrückt, hässlich und irre schön.“
Weitere Lesungen in der Reihe Literatur in der Universität:
Patrick Roth liest am 2. Dezember 2010
Annette Pehnt liest am 9. Dezember 2010
Beide Lesungen finden jeweils um 20 Uhr im Hörsaal U2/025 (An der Universität 2) statt.